Zwischen Zelten und Sternen| Pfizela 2018

Kategorien Tagebuch

Zwei Dinge die ich gelernt habe:

  1. Es gibt immer wieder etwas, das nicht alle um dich herum verstehen werden, sondern nur ein enger Kreis an Personen, und das schweißt dich mit ihnen zusammen
  2. Die Zeit kann noch so schnell vorbei gehen, zwei Jahre ohne etwas, das du liebst, sind eindeutig zu lange!

 

Als es soweit ist, ist es draußen brütend heiß, die Klimaanlage meines Autos glänzt durch Nicht-Existenz und in meinem Kopf türmen sich die Zweifel wie die Gewitterwolken in der weiten, kaum zu erkennenden Ferne.

Es fühlt sich ein wenig so an, wie mein erstes Mal dort draußen, damals, als ich, meine Reisetasche umklammernd, vor dieser grünen Wiese stand und sie im Stillen mit Hallo, Wildnis begrüßt hatte. Wildnis- als wäre diese Waldlichtung an der Bundesstraße zwischen Bingen und Hornstein im Landkreis Sigmaringen im Süden von Baden-Württemberg eine Wildnis, ein Ort an dem die Einsamkeit wohnt und die Einöde. Als wäre dort niemand, der auf einen wartet, der einen hört und von den wilden Tieren beschützt. Als wäre es nicht der ideale Ort, zu bleiben.

Einer von diesen Menschen wartet auf mich, als ich aus dem Auto steige, meine Reisetasche umklammernd, und im Stillen und mit einem Lächeln über dem ganzen Gesicht denke: Hallo, Wildnis. Er lehnt an seinem mit Schlammspuren besprenkelten Moped und sieht mich an, mit einer Mischung aus Belustigung und Spott und  Ich-freu-mich-dich-wiederzusehen. „Auch mal da? Etwa noch in der Schule gewesen?“ „Wichtig.“ sage ich, und verbanne in selbigem Moment alles das aus meinem Kopf: Schule, Abitur, Noten, Zweifel, Angst vor Spinnen und dem Ansturm von nahezu 200 Kindern in weniger als zwei Stunden. „Na dann.“ sagt mein Kumpel-seit-5-Jahren-Hannes. „Willkommen zurück.“

Pfingstzeltlager 2018. Wie lange ich darauf gewartet hatte, wie sehr es mir insgesamt gefehlt hatte, zeigt sich mir in Momenten. Momenten, in denen sich die ganze Betreuergruppe, zu der ich nun ganz offiziell gehöre, zum ersten Mal wiedersieht. Als wären wir alle nie weggewesen. In Momenten an dem Feuer, das die nächsten sechs Tage nicht mehr ausgehen sollte – abgesehen von den plötzlichen Regenfällen, die noch in keinem Zeltlager ausgeblieben sind.

Momenten, wie diesen: Freitag, 18 Mai, 15: 44 Uhr und der ganze Platz schwirrt vor Kindern, 191 an der Zahl, die sechs Tage Zeltlager machen wollen – mit uns. Wir waren alle selber mal so, jetzt sind wir schwer damit beschäftigt, ihnen eine schöne Zeit zu bescheren. Anmeldungen abhaken, Kinder in Zelte einweisen, die mottogetreu nach griechischen Gottheiten benannt sind. Du bist in Haus Tyche, das ist Zelt 9. Zelt 13 heißt Haus Aeolis und er ist der Gott des Windes. Vielleicht haben wir anfangs ja mal darüber gelacht. Vielleicht lachen wir auch, wenn jenes Kind fünf Minuten später stolz seiner Mutter erzählt, dass er so eben in Haus Küche eingezogen ist. Aber an sich ist es gut, richtig gut.

Zwei Stunden später verkaufen wir rund 50 hungrigen Kindern Snacks aus dem Kiosk. In diesen Tagen werde ich so viel Kopfrechnen wie während meiner gesamten Mathe-Abiturs-Vorbereitung nicht. Mein GTR, kurz für Graphik-fähiger Taschenrechner ist wohl das einzige von zuhause, das ich schmerzlich vermisse.

Ansonsten rückt die Außenwelt Stück für Stück in den Hintergrund. Abends bei der Nachtwanderung, bei der ich im Geheimen mehr Angst habe als alle achtjährigen Mädels um mich herum zusammen. Wenn Mitbetreuerin Tabea als finstere Medusa verkleidet aus dem Busch springt – wie soll man da auch gelassen bleiben?! Aber das mag ich so am Betreuer sein: sich etwas mit den Kindern gruseln, aber gleichzeitig die Kontrolle bewahren weil ich den Ablauf der Nachtwanderung schon kenne, halb Kind, halb Erwachsen. So viel von unserer Arbeit hängt davon ab, welche Worte wir verwenden. Wenn ein kleines Mädchen an deiner Hand nur so lange vor Angst weint, bis du sie mit deinen Beruhigungen unbewusst an ihren letzten Reiturlaub in den Bergen erinnerst, von dem sie anschließend mit strahlenden Augen erzählt, dann fühlt sich das gut an. Man muss sich nicht die Illusion machen, man könnte allen Kindern gleichzeitig gerecht werden – Forget it. Irgendwann stehen vier Kinder um dich herum und beschreiben dir gleichzeitig ihre tollste Ferienerfahrung, und dann streust du nur noch gezielt ein paar „Wow“s und „Cool“s ein und bewunderst den großen Mitteilungsdrang, den sie in dem Alter noch alle aufweisen.

Manchmal ist es anders herum. Dann leisten wir größte Überzeugungsarbeit, bis sich auch die ältesten Mädels dazu breitschlagen lassen, im Bikini die Slackline über der Lauchert zu überqueren-  mit einer Absturzquote von 99 Prozent. Mit circa 16 Grad Außentemperatur ist die Lauchert auch nicht gerade ein Thermalbad. Überhaupt das Wetter – es ist sonnig, es ist wolkig, es ist warm, kühl, irgendetwas dazwischen. Aber immer umgehen uns die Gewitterfronten, mein Kumpel Dani beobachtet es auf seinem Radar. Wir sind an der Schneise zwischen Donner und Blitz – und bleiben trocken. Einmal gibt es einen Regenbogen, der sich von einer Seite der Waldlichtung bis zur anderen erstreckt. Das Zeltlager liegt in der Mitte, ist aber eigentlich der Goldtopf am Ende des Regenbogens. Nur dass es wirklich existiert.

Die griechische Mythologie hat auch existiert – zumindest zu jener Samstag-Abendstunde, in der plötzlich rund 30 wildgewordene Betreuer, pardon Götter aus dem Olymp springen, begleitet von Bengalos und dem Rauch von Fackeln, von epischer Musik und fassungslosen Blicken der Teilnehmer. Zwischen den Zelten kommt es hart auf hart, bis am Ende feststeht, wer von den Teilnehmern der wahre Lager-Champion ist. Sein, besser gesagt ihr Preis: Erst-Benutzung des frisch geputzten Klowagens, VIP-Ticket in der Essensschlange und der Komfort eines Spül-Services durch die Betreuer.

Credits. Oli Banjo Photography
Credits:  Oli Banjo Photography

Je länger das Lager dauert, desto mehr wird deutlich, wie sich Freundschaften herausbilden, Kinder über Orts- und Landkreisgrenzen in Kontakt miteinander treten. So hat das auch bei mir einmal angefangen, mit Lea, Hannes, Celine, Alex und Soli. Bevor wir zusammen 2016 als neuer Betreuer-Helfer-Jahrgang in das Betreuerteam eingestiegen sind, waren wir Teilnehmer-Freunde. Die Art von Freunden, die sich genau einmal im Jahr sehen (im richtigen Leben wohnen wir höchstens 15 Minuten auseinander, wohlgemerkt).

Das ist auch im Betreuer-Team ähnlich. Außerhalb des Lagers geht jeder seinen eigenen Weg. Deswegen, das wird mir immer stärker klar, wird auch im Lager kaum über das Zwischen den Jahren geredet. Es spielt einfach keine Rolle, ob du in einer Woche wieder studieren, arbeiten oder reisen gehst. Es ist interessant und schön, aber es macht nichts. Interessenkonflikte gibt es so selten, weil während dem Lager alle das selbe Interesse teilen: an Spaß, Action, Sicherheit – und ein kleines bisschen Schlaf.

Sonntag ist ein seltsamer Tag. Den ganzen Mittag sind die Eltern auf dem Platz. Es ist schön zu sehen, wie die Kinder sich über ihren Besuch freuen, gleichzeitig sind wir nicht unter uns, die Außenwelt winkt, und schon jetzt wäre ich am liebsten zu dem Moment zurückgesprungen, an dem ich am Freitag angekommen bin und mit Hannes die Schranke des Platzes passiert habe. Die Zeit rennt.

Drei Stunden später: Die Zeit schleicht. Sie vergeht überhaupt nicht. Ich bin zuhause und will es eigentlich gar nicht. Ich habe mich lange auf die warme Dusche gefreut, und jetzt vergeht die Zeit, bis ich fertig damit bin und zurück ins Lager fahre überhaupt nicht. Auf der Rückfahrt bin ich so vorsichtig wie zuletzt bei der praktischen Führerscheinprüfung- es könnte ja irgendetwas passieren, dass mich an einer schnellen Rückkehr hindert. Aber alles was kommt ist Regen, der einsetzt und dafür sorgt, dass auf dem Lagerplatz alle einen Sprint zum Essenszelt ansetzen. Ich atme auf, als das Nass auf meine Haut trifft: ich bin zurück. So schnell gehe ich nicht mehr.

Aber eines ist mir auch klar geworden: die Außenwelt bleibt nicht geduldig vor der rostenden Schranke stehen, die über die Lagerzeit hinweg verschlossen bleibt. Die schleicht sich mit, schon am allerersten Tag. Wenn auf dieser Waldlichtung 220 Personen sind, dann sind da mindestens so viele Probleme. Keiner geht sorglos hier her, wie soll das auch funktionieren. Nein, Zeltlager ist keine Blase, in der nichts passiert. Aber eine, in der man aufgefangen wird. Und sich gegenseitig auffängt.

Und vor es jetzt kitschig wird – auch wenn es vermutlich schon zu spät ist- , schnell ein Fun Fact: ich kann nicht Kanu fahren. Der wohl erniedrigendste, im Nachhinein immerhin sehr lustige Tag meiner Betreuerkarriere: Kanu-Fahrt über die Donau. Während sämtliche mit bis zu vier Kindern plus Betreuern besetzte Boote planmäßig, ruhig und harmonisch geradeaus gleiten, bewegt sich das Kanu, das ich mit drei etwa neunjährigen Mädels fahre quasi von Ufer zu Ufer. Mit nicht ganz unsanftem Aufprallen an Felsen, Büschen und Ästen. Mein Ego ist ungefähr nach der ersten Kurve untergegangen und hat nicht vor, wieder aufzutauchen. Ich kann Kanu fahren! – dachte ich. Aber ich war noch nie Steuermann, und während meine Mitfahrer noch ganz amüsiert sind, suche ich nach einer Taktik, meine Tränen zu verbergen. Die originelle Ausrede lautet: Heuschnupfen, und nachdem uns ein „Rettungstrupp“, bestehend aus Wiese, Oli und Dani auf Höhe der Essensstation aufgelesen und an Land befördert hat, verwende ich sie ziemlich häufig. Anschließend schickt Dani sein Boot alleine los und übernimmt mein Steuer, während ich davor sitzen und mich in Ruhe vor mich hin schäme. Ich denke wirklich, dass es nichts Schlimmeres geben könnte als diese Blamage, und es dauert lange bis ich von dem Trip wieder runter bin.

Was ich daraus gelernt habe: man wächst an seinen Aufgaben (Danke Dani ;)) und es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.

Regen dafür umso mehr. Am Mittwochmorgen, dem Abbautag, werden wir von ihm geweckt, wie er gegen die Plane prasselt. Jeder von uns weiß, was das bedeutet: das Abbauen steht in der Schwebe! Aber mit viel Optimismus, Motivation und Tatenkraft schafft man nahezu alles. Nach einer Stunde hat sich der Regen verzogen.

In diesen Stunden, in denen wir Planen zusammenlegen und immer und immer wieder zum Trocknen wenden, unter der mittlerweile wieder brennenden Sonne Zeltstangen sortieren und Säcke in den LKW hieven, strenge ich mich an, mit dem Pfizela 2018 abzuschließen. Ich habe nur noch etwas mehr als 24 Stunden, bis ich mit meiner Stufe auf Abireise fahre. Zwei Welten prallen aufeinander, und ich habe schon Angst vor dem Aufstoß. Ich will nicht, dass diese Zeit zu Ende geht. Von mir aus kann ich noch fünf Mal von David durch die Luft gewirbelt werden, weil er – inspiriert durch den inoffiziellen Lagersong 2018- seine Berufung als Helikopter entdeckt hat. Helikopterflug- bedingte Übelkeit, Spinnen, Klodienst, – alles erscheint mir besser, als der Lagerwiese den Rücken zu zukehren. Am Abend ist sie tatsächlich leer, als wäre nie etwas gewesen, als wäre hier keiner, Wildnis. Jetzt muss ich wirklich schon wieder Tschüss zu ihr sagen.

Beim Abschluss-Essen danach hauen wir rein. Käse Tomate Gurke, Ketchup, Majo, Senf – wir wissen Bescheid, wieso wir darüber lachen müssen. Wir haben es geschafft. – 191 Kinder sind, bis auf kleine Lädierungen und eine Menge Schlafmangel, gesund und munter zurück nach Hause gekehrt. Sie kommen wieder, wie wir es damals gemacht haben. Sie freuen sich auf das nächste Jahr, wie wir es gerade tun. Heute sind es noch 369 Tage, aber gleich ist es Mitternacht, dann sind es 368.

Bestimmt habe ich dann wieder Zweifel und Angst, wie an jenem Tag auf dem Parkplatz. Und dann bin ich wieder glücklich. Ich kann es kaum erwarten.

DANKE

 

… an alle, die bis hier her gelesen haben. Ich weiß nicht, wie ihr das fandet, diese Art von Berichterstattung, aber ich habe es irgendwie gerne geschrieben. Ich habe das Gefühl, viele von den Momenten wurden auf diese Weise noch einmal lebendig.
Und diese Momente habe ich euch zu verdanken! Der Gurke-Tomate-Käse-Crew, die aus Lea, Celine, Alex und mir besteht und alle Kinder beim Abendessen stets kompetent berät. Dazwischen helfen wir uns selber – bei der Auswahl des perfekten Instagramfotos inklusive Quote, beim Duschen in der Luxus-Dusche, beim Kinder-Betreuen und dem allmorgendlichen, sehr sehr harten Aufstehen. Ich bin so froh euch zu haben und sage Danke für eine unvergessliche Zeit!

Das Selbe gilt für Soli und Steffi, zusammen waren wir ein unschlagbares Team, und haben nachts wie tagsüber die kleinen und großen Krisen des Lagers gemeistert. Bei der Krisenbewältigung ist auch David vorne mit dabei, vor allem in punkto Hungerskrisen- Danke! 😀 Hannes (groß) haben wir zu verdanken, dass der O-Lauf so geklappt hat, Hannes (klein) für alles mögliche ohne konkretes Beispiel, und bei Dani sage ich nur: ohne dich würde ich vermutlich heute noch in einem Kanu auf der Donau sitzen und das Ziel nicht erreichen 😀 Danke an Oli für den ewigen Ohrwurm über den kleinen Wellensittich sowie qualitativ KRASS GUTE Bilder, und an Max für die unterhaltsamen Einsätze an der Essensausgabe, geprägt von der Theorie des Mayo-Führerscheins. Ebenso witzige Momente gab es mit Wiese, der das Angebot von Ketchup aus der Lagerküche vermutlich immer noch im Schlaf aufsagen kann- danke! 😀 Danke an das Küchenteam für das beste Essen überhaupt. Danke an Matze, meinen Co-Zeltbetreuer und Zelt 13, die – meistens- echt brav waren und mich in der Zwischenzeit an uns früher erinnert haben ( Ich wäre auch nicht in die Lauchert gesprungen!).

Natürlich sind das längst nicht alle Betreuer dieser unvergleichlichen Crew, aber fühlt euch einfach ALLE BEDANKT, dafür, dass wir die Besten sind.

Danke an Frank, unseren Lagerleiter. Zwar hätte ich ohne dich deutlich mehr Schlaf, weil ich diesen Artikel gerade nicht schreiben würde – aber hundert Mal weniger schöne Erinnerungen. Und 191 Kinder würden mir dabei zustimmen. DANKE!

Zu guter Letzt Danke an EUCH alle, Teilnehmer, Betreuer, Lagerwiese: WIR SIND ZELTLAGER.

See you in 369 days. 


EPILOG

Was kein Problem ist:  6 Tage Regen, Kälte und Kindergeschrei morgens um sechs.

Was ein Problem ist: 12 Monate, ohne uns zu sehen. Deswegen hat es genau eine Woche gedauert. Dann waren wir wieder – zumindest teilweise – vereint. 🙂

 

SAVE THE DATE

Pfizela 2019

10. – 15. Juni

Fäules Loch Bingen

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.