Zuhause. | China-Tagebuch

Kategorien Reiseatlas

02.04.2016


Es gibt ein Sprichwort, das sagt, dass, egal wo man ist, der Himmel die selbe Farbe hat.

Stimmt nicht, habe ich festgestellt.

In Shanghai war der Himmel meistens weiß, manchmal gräulich vom Smog. Über Guilin war es leuchtend weiß mit blassblauen Flecken. Bei uns zuhause ist der Himmel gerade tiefblau. Egal wo man ist, sieht der Himmel anders aus, und wenn ich zurückdenke, frage ich mich, wieso ich bei meiner Ankunft in China nicht den totalen Kulturschock hatte. Denn ganz ehrlich: beim Nachhausekommen hatte ich einen.

In China ist alles so anders wie bei uns, die Leute, das Essen, der Geruch in der Luft, einfach alles. Und was vor einer Woche noch total verstörend, besonders und neu für mich war, ist jetzt das, was ich vermisse, wenn ich in den blauen Himmel sehe.

Der Tag meiner Ankunft war hingegen meiner Erwartung wunderschön. Kaum war ich zuhause, ging es los zu einem Geburtstag, wo ich auf einen Schlag meine Familie, meine Cousine und meinen besten Freund wiedergesehen habe. Highlight war, dass ich am Tag zuvor, als ich noch am anderen Ende der Welt in einem Café in Tianzifang saß, den ersten April ausgenutzt und meinem besten Freund einen gehörigen Schreck verpasst habe. Dazu müsst ihr wissen, dass mein bester Freund keinen ersten April braucht um mich zu verarschen – er tut es einfach ständig, immer und überall. Leider bin ich auch jedes Mal naiv genug, um reinzufallen, und dafür so untalentiert, dass es mir noch nie gelungen ist, mich zu revanchieren. Jedoch nicht dieses Mal. Aus irgendeinem Grund war meine Story von einem geklauten Reisepass, Personalausweis etc. so authentisch, dass mir mein bester Freund ohne Weiteres geglaubt hat, ich würde noch in Shanghai festsitzen. Meine Eltern, Schwestern und anderen Freunde waren eingeweiht und spielten brav mit. Ich landete also heute Morgen fröhlich in Frankfurt, fuhr mit meiner Cousine nach Hause und packte meinen Koffer aus, während mein bester Freund 15 Kilometer weiter der festen Überzeugung war, ich säße noch in China. Snaps bekam er von mir in dieser Zeit natürlich keine und bedauernswerter Weise konnte ich unter diesen Umständen auch keinen „Back home“-Snap in meine Geschichte stellen. Aber eins ist klar: dass war es Wert 😀

Gegen vier Uhr mittags fuhr ich mit meiner Familie dann zum Geburtstag meines Opas, wo auch mein bester Freund eingeladen war, weil er mit dem Musikverein spielte. Sie standen alle schon auf dem Hof, als unser Auto anrollte. Ich stieg genüsslich aus, lief langsam auf meinen besten Freund zu und konnte mich gar nicht satt sehen aus seinem Gesichtsausdruck. Der sprach nämlich Bände. Waaaas, du bist plötzlich hier???

Ja, ich habe es tatsächlich geschafft, ihn zu verarschen! Ganz wird er mir das wahrscheinlich nie verzeihen…aber was solls 😛 Ein bisschen mehr hätte er sich aber schon freuen dürfen dass ich ihn ab Montag wieder in der Schule nerven werde anstatt hilf- und ausweislos in Asien festzustecken 😉

Abends habe ich mich dann noch mit meinen beiden besten Freundinnen getroffen und die neusten Neuigkeiten ausgetauscht. Trotzdem war nicht alles wie immer, im Gegenteil. Ich habe mich selber gar nicht mehr gekannt. Ich habe erzählt und geredet und gelacht, aber ich war irgendwie gar nicht ich, sondern eine fremde Person, die für 10 Tage in China war.

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Ich fand es schon immer schrecklich, wenn etwas Schönes zu Ende gegangen ist, auf das ich mich schon lange gefreut habe. Danach weiß ich irgendwie immer nie, auf was ich mich jetzt noch freuen soll. Anstatt dass ich einfach dankbar wäre, dass ich es erlebt habe.

Manchmal glaube ich, ich bin die einzige, die dieses Problem kennt: du freust dich auf etwas, dann erlebst du es, und dann, wenn es vorbei ist und wunderschön war, dann wirfst du dir vor, dich nicht genug darauf gefreut zu haben. Du bereust, dass du keine Luftsprünge gemacht hast, als du es noch vor dir hattest.

Aber erstens weiß ich jetzt, dass ich nicht die Einzige bin, die so denkt, und zweitens ist mir klar geworden, dass das überhaupt nichts bringt. Dass ich mich vor China nicht zu hundert Prozent darauf freuen konnte, ist klar, weil ich nicht wissen konnte, was mich erwartet. In eine Reise startet man immer mit Zweifeln.

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Jetzt ist es vorbei, und ich weiß, es war besser als alles, was ich davor erlebt habe. Es bringt nichts, zu bereuen, dass ich mich nicht mehr gefreut habe, aber es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass auch Dinge, in die man mit Angst gestartet hat, zu etwas so großartigem werden können.

Heute hat die Schule wieder angefangen, und alles ist schrecklich normal. Ich bin irgendwie noch gar nicht so im Work&Focus-Modus, sondern eher so in „Travel the world“ – Stimmung. Das muss noch anders werden, denn bis ich im Sommer zumindest wieder bis nach Berlin reise, dauert es noch ein paar Monate 😉

Wer sich für eine China-Reise interessiert, hat von diesem Blogpost vermutlich herzlich wenig, da ich nur von meiner Stimmung rede, nicht von hilfreichen Tipps. Ich habe das hier hauptsächlich geschrieben, weil ich mir wünsche, es selber irgendwo zu lesen. Einfach, um zu wissen, dass das ein weitverbreitetes Phänomen unter Reisenden ist 😉

Zuhause ist da wo das Herz ist, und auch wenn ich momentan gar nicht sagen kann, wo mein Herz ist, weiß ich, dass Zuhause für mich vor allem meine Freunde ein Zuhause sind, und mit ihnen darf ich in nächster Zeit zum Glück ganz viel Zeit verbringen. Dafür bin ich dankbar! 😉

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.