Fake Market, Tianzifang und der schwere Abschied | China-Tagebuch

Kategorien Reiseatlas

01.-02.04.2016


Der letzte Tag in China!- war am Freitagmorgen mein erster Gedanke. Der Donnerstag war ungefähr der unproduktivste Tag des Jahres für mich (ja gut, 2016 ist ja auch noch nicht so lang), was daran lag, dass es mir immer noch nicht gut ging und mein Bewegungsradius somit Bett-Sofa-Bett-Sofa-lautete.

Aber am Freitag ging es mir wieder besser, und Shanghai wollte uns den Abschied auch noch unnötig schwer machen, indem die weiße Wolken- Smog-Schicht am Himmel teilweise aufriss und ein Stück Blau frei gab. Bei uns auf der Alb würde man sagen: bewölkter Tag!, aber für die Bewohner von Shanghai war dieses Ereignis wohl etwas ganz besonderes, denn es brach eine regelrechte Sonnenschirm- Sonnenbrille-Hysterie aus.

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Wir bekamen von den Sonnenstrahlen jedoch zunächst wenig mit, weil wir noch einen wichtigen Programmpunkt zu erledigen hatten: den Fake Market zu besuchen. Ich wollte immer schon mal auf einen Fake Market, einfach weil alle meine Freunde, die in der Türkei oder sonst wo weiters weg Urlaub machen, davon schwärmen, wie günstig und cool da alles ist. Ich wollte es mit eigenen Augen sehen, musste aber sofort feststellen, dass ich ein völlig falsches Bild vor Augen hatte, was ein Fake Market ist. Ich dachte irgendwie immer an einen großen, offenen Platz, auf dem die Händler in Wägen und Ständen ihre Ware präsentieren. Das Taxi, mit dem wir fuhren, ließ uns aber vor einem großen Kaufhaus raus, mit breiter Treppe, schimmernder Wand und Säulen. In so einem großen Gebäude soll also das stattfinden, was von der Regierung/Polizei eigentlich nicht  gerne gesehen wird. Bei uns auch nicht. Bei uns sogar so ungerne, dass es das Phänomen „Fake Market“ gar nicht gibt.

Dem zufolge war der Fake Market vor allem eins: ziemlich touristenüberlaufen. Kaum verwunderlich also dass uns auch andere Deutsche begegnet sind. Der Market in dem wir waren ist dreistöckig und mit Rolltreppen ausgestattet. Ihr müsst euch das so vorstellen , ein Gang und Links und rechts aneinander gereiht kleine, offene Verkaufsräume in denen die Händler auf Kunden warten. Na ja oder sie stehen davor und versuchen , einen anzulocken , herzukommen 😉

Auf dem Fake Market gibt es wirklich fast ALLES. Von Schuhen (Nikes, Converse, Adidas,…) über Klamotten, Schmuck, Wandbilder, Deko, Markenuhren, Geldbeutel und eine riesige Auswahl an Taschen findet man alles zu einem extrem niedrigen, verhandelbaren Preis . Es gibt auch viel Technik: Apple Produkte für 10 Euro. Am Tag meines Abflugs haben die Jungs in meiner Klasse prognostiziert , dass ich nach den Ferien garantiert ausgestattet mit Fake Daniel Wellington Uhr, Converse und IPhone zur Schule komme. An euch alle: die ersten beiden Sachen stimmen 😀 Technik würde ich auf dem Fake Market glaub echt Nicht kaufen – da traue ich der Qualität/ Funktionalität nicht. Dass im Ausland billig erworbene Handys im Heimatland nicht funktionieren ist auch ziemlich bekannt.

Meine Einkäufe am Ende waren Converse Schuhe , eine Daniel-Wellington-Uhr und eine Passport-Hülle. Der Fake Market ist auch sehr auf Touristen eingestellt , so kann man Postkarten, I ❤ Shanghai- Shirts und andere kleine Souvenirs wie Essstäbchen kaufen. Na, erkennt ihr irgendwelche Geschenke von mir wieder?😉

Auf dem Fake Market war’s also richtig cool. Bestimmt wird irgendwann wissenschaftlich bestätigt dass Einkaufen die beste Medizin ist , und wenn es dazu so günstig ist , macht es einfach Spaß. Trotzdem sollte man nicht vergessen , dass man hier im Grunde Plagiate kauft. Menschen,die solche Produkte anbieten und verkaufen, können dafür ins Gefängnis kommen. Und es schadet den Original Firmen, wenn ihre teurer angesetzte Ware von uns durch diese günstige Alternative ersetzt wird. Das muss uns klar sein, und natürlich auch, dass die Qualität von Nike, Daniel Wellington und Co auf keinen Fall vergleichbar mit den Fake Produkten ist. Übrigens habe ich daheim meine neue Uhr probiert , und sie ist praktisch direkt auseinander gefallen.

Wenn mich jemand fragen würde, was ich in Shanghai am besondersten finde, würde ich sagen, dass Shanghai für mich nicht eine Stadt, sondern viele unterschiedliche Städte an einem Ort bedeutet. Als allerletzten Programmpunkt durften wir neben dem futuristischen Pudong und der historischen Altstadt noch eine neue Seite Shanghais erleben: das Viertel Tianzifang. Es ist eine Art Künstlerviertel mit viel Ziegel-/Backstein und zahlreichen Lädchen.

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Auch wenn hier alles ist ein bisschen teurer ist, habe ich drei wunderschöne Armbänder gekauft. Anschließend sind wir im Innenhof eines Cafés gesessen, haben die Stimmung genossen und Sonne getankt. Leider hat mein Magen immer noch nicht so ganz mitgespielt aber meine Cousine und meine Tante haben das Essen sehr gelobt. Übrigens waren in diesem Café auch ziemlich viele Europäer, und alle am Handy- denn es gab freies Wlan 😉

Wir sind dann noch eine Weile durch die Straßen von  Tianzifang geschlendert. Sie haben mich fast ein bisschen an Venedig erinnert, wo ich ja letztes Jahr war.

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Zurück in der Wohnung gab es eigentlich nur noch eins zu tun: packen. Dass wir unsere Koffer noch zubekommen haben, war ein reines Wunder. Als ich zuhause gepackt habe, habe ich zum ersten Mal weniger eingepackt als ich geglaubt habe zu brauchen. Vielleicht ja, weil ich konstant einen Ohrwurm von Silbermond- Leichtes Gepäck hatte, und mir klar wurde, dass das ein Abenteuer sein wird, mit unahnbaren Zwischenfällen, Erlebnissen und Komplikationen. Man kann eigentlich nie bereit sein. Wieso also noch der Versuch, es zu sein?

Ich habe es nicht bereut. Meine Tante hat uns Klamotten geschenkt, die sie nicht mehr brauchte, und dann waren wir auch noch shoppen- ich hätte also wirklich nicht mehr mitnehmen müssen.

Kann gut sein dass ich noch ab und zu irgendwelche superschlauen, imenz wichtigen Packlisten für diverse Reisen hier hochladen werde, aber eine Faustregel habe ich in China gelernt:

Passport, boarding card, journal, up up and away 🙂

Als unsere Koffer dann zu waren, gab es noch ein letztes Mal chinesisches Essen. Wir haben genau das Gleiche bestellt wie am ersten Abend: Kräuter Pancakes (Pancakes ist eigentlich Ironie, die Teile sehen nämlich aus wie kleine Pizzastückchen), Pilze, gehobelte scharfe Kartoffeln und Reis.

Die Verabschiedung war echt mega hart, vor allem von unserem Cousin. Mit eineinhalb dauert es eben ein paar Tage, bis man Leute wirklich kennt, und jetzt hat er uns gerade richtig wahrgenommen und hat mit uns gespielt, jetzt sind wir schon wieder weg. Es ist so traurig, jemanden, der einem eigentlich so nahe ist, so selten zu sehen. Alle meine kleinen Cousins und Cousinen darf ich aufwachsen sehen. Ich sehe sie direkt nach der Geburt, habe sie als kleine Babys auf dem Arm, helfe ihnen beim Laufen lernen und bringe sie lachend dazu, meinen Namen zu sehen. Nicht bei meinem China-Cousin. Bei ihm sehe ich nicht die Schritte, sondern nur die Endresultate. Er ist immer so weit weg, auf Dauer machen das auch WhatsApp-Bilder leider nicht wett. Aber ich freue mich so für ihn, dass er ein Teil seines Lebens in dieser aufregenden Stadt verbringen darf. Das macht mich mega neidisch 😉 Auch, uns von unserer Tante und unserem Onkel zu verabschieden, fiel uns schwer. Wir sind so dankbar, dass wir die Zeit bei ihnen verbringen durften. Sie haben uns die tollsten Seiten Chinas gezeigt, Orte, die wir ohne sie vielleicht nie gesehen hätten. In circa 8 Wochen sehen wir uns wieder, wenn sie alle nach Deutschland kommen. Bis dahin bleiben Bilder, Erinnerungen, Insider, an die schönste Zeit, die wir je zusammen hatten. Ich bin so dankbar dafür.

Am Flughafen war alles ganz easy. Ohne Witz, Flughäfen sind wirklich idiotensicher. Bei meinem ersten Flug 2014 nach Berlin hätte ich das vermutlich noch nicht gesagt, aber mittler Weile ist alles schon total Routine. Die Fassung habe ich trotzdem verloren: in dem Moment, in dem das fünfte von sechs Flugzeugen meiner Reise nach einer Stunde Verspätung abgehoben hat und die Lichter von Shanghai im Fenster langsam kleiner wurden. Ich habe so leise geweint, dass es niemand hören konnte, aber in mir waren ganze Wasserfälle am Werk. Ich kann gar nicht sagen wieso, ich weiß nur dass Shanghai jetzt eine Stadt für mich ist, mit der ich ganz ganz viel verbinde: Freiheit, Abenteuer, Schönheit, Erfahrungen. 8 Tage hat sie mich aufgenommen in ihren Kreislauf, 8 Tage durfte ich Teil haben, Teil sein, mitspielen. Auch wenn China hoffentlich nicht das einzige Land ist und sein wird, das ich in meinem Leben bereist habe, ist es doch das Land, in dem ich für mich die ganz große Freiheit, und meine Sehnsucht nach der Ferne entdeckt habe. So bin ich da gesessen, den Kopf an die Plastikscheibe gelehnt, draußen Dunkelheit, und alles hat mich nach unten gezogen, in die Stadt, die von Sekunde zu Sekunde weiter weggerückt ist. Zum Glück hatte ich dann erstmal 11 Stunden und sieben Minuten Zeit, um mich damit abzufinden.

Sieben Uhr morgens, Istanbul, und es war die Hölle los. Als wollte die ganze Welt ausgerechnet um diese Zeit die Stadt verlassen, standen wir circa eine Stunde in der Schlange für die Sicherheitskontrolle, waren schon leicht nervös weil der erste Flug ja auch schon eine Stunde Verspätung hatte, und schafften es dann Gott sei Dank gerade noch rechtzeitig zum Gate. Ehrlich gesagt haben mich die Menschenmassen schon nervös gemacht, aber in dieser Reise ist schon so viel passiert, dass die Angst, die ich am Abend vor der Abreise hatte, gar nicht mehr so präsent war.

Der letzte Flug war „nur noch“ 3 Stunden lang, die wirklich schnell vergingen, und dann waren wir tatsächlich schon am Frankfurter Flughafen, wo das Polizeiaufgebot auch kaum übersehbar war. Zufällig gilt ein Flug aus Istanbul da gerade als Hochrisikoeinreise (so etwas aber auch), also gab es direkt nach dem Aussteigen im Flughafen eine weitere Passkontrolle. Hierbei wurden wir sozusagen Zeugen von Rassismus, denn während vor allem erwachsene Männer zielstrebig auf Pass, Herkunft und Ziel angesprochen wurde, marschierten meine Cousine und ich einfach durch, ohne von dem Personal beachtet zu werden. Was mich echt enttäuscht hat, ich finde meine pinke Reisepass-Hülle vom Fake Market soo toll und hätte sie den Herren wirklich gerne präsentiert! 🙁

Das wars also. In Frankfurt hat es angefangen, in Frankfurt hat es aufgehört. 10 Tage älter, 10 Tage weiser und vollgepackt mit Bildern und Erfahrungen, die für immer bleiben. Ein Herz voller Momente, die still und leise vor sich hinstrahlen in all ihrer Schönheit, ist ganz schwer geworden als ich das Gebäude verlassen habe. Es ist vorbei. Einfach vorbei. Das Abenteuer meines Lebens.

Und obwohl es ein wirklich guter Tag war, nach Hause zu kommen, obwohl ich sehnsüchtig erwartet wurde und mindestens genauso sehnsüchtig auf meine besten Freunde und meine Familie gewartet habe, egal was noch kommt – das Abenteuer China war viel zu schnell zu Ende und es tut weh zu wissen, dass es sich nie wieder wiederholen wird.

Don´t cry because it´s over, smile because it happened!

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.