Wenn die Welt eine Serie wäre | ElectionDay

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Das Jahr 2016. Es ist ein deutscher Novembermorgen wie 8 davon zuvor, und alle Schüler wachen wie immer nach viel zu wenig Schlaf vom Klingeln ihres Weckers auf. Jedoch, etwas ist anders: anstatt des Radios wird in so manchen Häusern gleich der Fernseher angestellt, das Smartphone einmal mehr gecheckt und besorgt auf die Zahlen geschaut, die das verheißen, was vor einem Jahr um die Zeit niemand geglaubt hätte:

Trump wird Präsident.

Selbstbewusst lacht er in die Kamera, die Wahlauszählung wird seit Stunden übertragen aber gegen sechs Uhr morgens deutscher Zeit ist die Tendenz bereits ganz deutlich. Draußen im Dunkeln fallen die ersten Schneeflocken und drüben in Amerika die Hoffnungen auf einen Sieg der Demokraten. Unbestechlich flimmert auf dem Bildschirm: 215 Clinton, 244 Trump, 6:40 Uhr morgens und wenig Aussicht auf Umschwung.

Im weltbekannten Elitegymnasium Gymgam wird die Unruhe nicht unbedingt kleiner. Die Ausgabe der ersten Mathe-Klausur steht an. Und alle nur so: wie viele schlechte Nachrichten kann ein Tag verkraften? Ganz wie im echten Leben, tausende Kilometer von uns entfernt gibt es Freude und Entsetzen, Überraschung und Kenntnisnahme. Mit dem Unterschied dass diese Kursstufe noch sieben weitere Chancen vor sich hat, es besser zu machen. Amerika hat sich entschieden. Grundkurs 2 diskutiert gerade über Aufklärung und Wissen im Leben des Galilei, als es einer ausspricht:

Trump ist Präsident.

Auch New Hampshire hat schließlich eine Einigung erzielt, sämtliche Stimmen sind ausgezählt und es gibt kein Zurück mehr. Und obwohl wir eine kleine süddeutsche Stadt sind, meilenweit von den USA Und deren Lebensweise entfernt, bricht auch bei uns der Tumult unmittelbar aus. „Wie können die nur!“ „Die Welt ist verloren!“ Und ein penetranter Ohrwurm von KIZ.  Hurra Hurra, die Welt geht unter!

Wir verstehen es einfach nicht. Wir, die wir im Laufe unseres Lebens viel dazu gelernt haben was Politik, Werte und Gerechtigkeit angeht. Wir, die wir logisch denken können kaum glauben, wie sich ein Mann, der mehr durch Reichtum als durch Können bekannt wurde, dessen undiplomatischen und verletzenden Äußerungen täglich die Medien gesprengt haben, gegen eine demokratische, Wert auf Minderheiten legende Hillary Clinton durchsetzen konnte. „Und wenn wir aus der Schule kommen, haben wir einen zweiten Hitler.“ sagte ein Mitschüler von mir düster, als wir morgens zusammentrafen. Recht hat er gehabt. Wir haben alle genickt. Wir wissen was das heißt, nicht am eigenen Leib, aber wir kennen die Geschichte unseres Landes. Wir wissen wohin Rechtspopulismus und Intoleranz führen kann, doch wieso die US-Bürger nicht? In den sozialen Medien kursiert: Herzlichen Glückwunsch an Großbritannien: Ihr seid nicht das dümmste Volk des Jahres!

Jemand hat mit mir über meinen Blog gesprochen und den Vorschlag geäußert, bei meinen Texten mehr auf die andere Seite einzugehen. Über diese konstruktive Kritik habe ich mich sehr gefreut, und gerade bei einem Thema wie diesem liegt nichts so nahe wie der Versuch- und sei er noch so lächerlich- zu verstehen, was 58.973.580Amerikaner zu dieser Entscheidung getrieben hat. Kein Serienprotagonist handelt nur aus Dummheit, ansonsten wäre es eine schlechte Serie. Oder anders gesagt: es hat doch alles zwei Seiten.

Hillary Clinton zum Trotz?

Sicherlich hat Donald Trump als Kandidat der Republikaner in den letzten Monaten in Deutschland mehr Relevanz und Bekanntheit erfahren als seine demokratische Gegenkandidatin, Hillary Clinton, vermutlich zurückzufahren auf seinen populistischen Wahlkampf.

Folglich war Donald Trump immer „Der Böse“, oder viel mehr: „Die Witzfigur“, während Clinton als gute, sichere Kandidatin im Hintergrund blieb. Die Menschen der USA sehen das anders. Sie kennen Hillary Clinton und sehen nicht nur ihre einleuchtenden Ziele wie die Stärkung von Minderheiten und des Gesundheitssystem. Als Ehefrau des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton hat sie stets auch an ihrer eigenen Karriere gebastelt, wurde nach der gescheiterten Präsidentschaftskandidatur Außenministerin und blieb standhaft, aktiv und eigenwillig. Hillary Clinton hat jedoch auch immer wieder für Aufruhr gesorgt, durch ihre Beziehungen zu wichtigen Banken wie GoldmanSachs und durch unverantwortliche Weisen, an Macht zu gelangen. Heilt der Zweck die Mittel?Viele Amerikaner sagen: Nein. Ihre Wut ist zu groß, Donald Trump muss im Grunde genommen gar nichts tun um gewählt zu werden.

Aus Wut und Trotz zum Rechtspopulismus gehen? Für uns klingt das kindisch- und ehrlich gesagt auch ziemlich dumm.  Daran erinnert ein Social Media Post vor einigen Wochen, als noch keiner damit gerechnet hat, dass diese Zeilen bald nicht mehr lustig sein könnten: Mit Trump als Präsidentschaftskandidat ist es wie mit der Klassensprecherwahl in der Schule: alle wählen den Dümmsten, weil es lustig ist .

Lustig. Oder auch nicht mehr ganz so.

Der Respekt, der euch gebührt

Niemand wird es leugnen: wir sind in Zeiten des Aufruhrs. Der Änderung. Ganz ähnlich wie zur Zeit des guten Galilei- um auf die Deutschstunde und den Moment der Wahrheit zurückzukommen – ist nichts mehr wirklich sicher. Ja die Erde ist eine Kugel, aber was zur Hölle tun wir mit Flüchtlingen, die keinen Platz finden auf der Welt, und mit Terroristen, die sie zerstören wollen? Wie gehen wir um mit Menschen, die einfach keine Arbeit bekommen und denen, die dafür verantwortlich sind? Wie lange sehen wir noch zu, wie die Wut der Menschen wächst, und wer sagt dass das nicht ausartet?

Eine Diktatur wie sie im dritten Reich entstand findet fruchtbaren Boden dort, wo Unzufriedenheit gestreut wird. Geht es den Menschen schlecht, tendieren sie auf eine natürliche, gar notwendige Art dazu, zu rebellieren.

Die Stimme in der USA wird laut: uns reichts! Wir haben keine Lust mehr auf Unsicherheit, Elend, Zurückstecken! Wer hat das schon? Und wer kann das verurteilen, der nicht selbst in dieser Lage war? America first! ruft Trump aus und bringt mit seinen einfachen Lösungen zum Einwanderungsgesetz, zur Nationenbildung (die er im Grunde genommen abschaffen will) und den die Globalisierung verachtenden Wirtschaftsvorstellung Hoffnung ins Land. Die Steuern werden unter Trump fallen, so viel steht fest.  Trump also als Retter der Nation? Und wieso verstehen wir das dann nicht?

Der American Dream

Ist ja nicht so, dass wir unseren Blick erst jüngst auf die USA werfen. Im Englischunterricht Elf Eins ist Amerika Hauptthema, oder eher: der American Dream. Wochenlang haben wir uns die Haare gerauft: was ist er denn, der American Dream? Morgen schreiben wir Klausur darüber, und ich denke mittlerweile: es ist die Chance, sich selbst zu verwirklichen, die im grauen Deutschland unerreichbar scheint, in Amerika ist sie so schillernd. Geschichten von Tellerwäschern die zu Millionären wurden sind nur oberflächliche Geschichten, von einem Kult der in den Herzen vieler US-Bürger lebt. Das unterscheidet uns Europäer ganz klar von ihnen, und es stellt sich die Frage, ob nicht dieses kleine Detail der Grund dafür ist, dass uns der Sinn hinter der Wahl verborgen bleibt. Immer noch.

Plottwist: Diese Argumente haben nichts genützt

Nicht uns. Uns, die wir entsetzt den Kopf schütteln als eine Republikanerin bei der Wahl fröhlich ins Mikrofon pustet: „Was so schlimm ist an einer Mauer zu Mexiko? Ich weiß es nicht! Zwischen Palästina und dem Gaza-Streifen ist auch eine Mauer und es funktioniert.“

Wir, die wir uns fragen wieso Trump Bodentruppen nach Syrien schicken und gleichzeitig die Einwanderungsgesetze verschärfen will, sodass syrische Flüchtlinge möglichst gar keine Erlaubnis mehr halten. Er, dessen familiärer Migrationshintergrund bis in eine Kleinstadt in Rheinlandpfalz reicht.

America First! ruft Trump einmal mehr und erwähnt gefühlt im gleichen Atemzug, dass die unter Barack Obama aufgebaute Krankenversicherung „ObamaCare“ mit ihm als Präsident ersatzlos wegfallen wird. Dieser Mann brennt für sein Amerika- für einen Schutz gegen schicksalshafte Krankheiten reicht es offensichtlich nicht.

Inmitten des Aufruhrs,  der heute in unserer Schule geherrscht hat, gab es auch einige Leute die gefragt haben: „Was regt ihr euch denn so auf? Wir sind in Deutschland und das ist Amerika!“ Nur: wenn Amerika die NATO verlässt, geht uns das zwangsläufig auch etwas an. Wenn ein Trump „unabsichtlich“ unsere Bundeskanzlerin als geisteskrank bezeichnet, spricht das nicht gerade für erfolgreiche Zusammenarbeiten. Und wenn an den Börsen die Kurse fallen, unmittelbar nach der Wahl, bin ich fast froh dass ich mich mit wirtschaftlichen Konsequenzen nicht allzu gut auskenne. Wir würden uns gerne verstecken, aber das geht nicht. Der dumme Klassensprecher ist gewählt, und auch wenn wir vielleicht nicht im selben Raum sitzen sind wir doch die Parallelklasse, und müssen mit dieser Klasse das Schulfest organisieren, zudem der Bürgermeister kommt. oder aber wenn es brennt, möglichst sicher und mit Zusammenhalt das Gebäude verlassen.

„Wenn man es nicht ganz so negativ sieht,“ hat heute einer gesagt, „dann ist das jetzt wie eine Serie auf Netflix. Das Unmögliche ist eingetreten, und jetzt sind alle nur noch gespannt, was als Nächstes passiert.“

Was soll man sagen- da hat er recht. Wir befinden uns mitten in der ersten Folge dieser Serie

– von der uns Deutschen gerade lieber wäre, man könnte sie mit einem kleinen Mausklick beenden und die Netflix-Seite schließen, um wieder ein paar ruhige, angenehme Stündchen schlafen zu können.

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Info: Ich bin nicht über Nacht zum Politikwissenschaftler oder GMK-Freak mutiert, das hier ist auch nur meine eigene Meinung und sicher nicht ausschließlich korrekt, und schon gar nicht neutral! Viele wertvollen Infos konnte ich aber den Videos von Mr WissentoGO aus Youtube entnehmen. Absolute Empfehlung!!

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.