Von Nachbarn und Fußballspielern

Kategorien Weltgeschehen

Die AFD ist zurück. Also –  richtig weg war sie ja irgendwie auch nicht, aber zumindest gab es ziemlich lange keine neuen bahnbrechenden Schlagzeilen. Wobei, da war etwas mit Gesichtern auf Kinder-Schokolade-Packungen, aber da musste die Partei dann wohl relativ schnell wieder Zurückrudern, um nicht ihr eigenes Gesicht zu verlieren. Der Grund: eine Gesellschaft, die in den sozialen Netzwerken eben doch mehr kann als nur Katzenvideos zu posten und Veranstaltungen versehentlich öffentlich zu machen.

Jetzt also der – zugegeben schon ein paar Tage alte – Skandal mit dem deutschen Nationalfußballer Jérome Boateng. Die Grundaussage, die der AFD-Politiker Gauland getätigt haben soll, dürfte niemandem mehr fremd sein. Man schätze Boateng als Nationalspieler, wolle aber nicht Türe an Türe mit ihm leben.

Als ich über Facebook, Radio und Co davon gehört habe, war meine Reaktion nicht „Geht´s noch?“ oder „Was denkt er sich dabei?“ sondern eher „Was?“. Ich habe erstmal eine Weile gebraucht, um zu verstehen, was Gauland damit eigentlich sagen wollte: Wir Deutsche würden keine Menschen, die nicht aussehen wie wir, in unserem näheren Umkreis haben wollen.

Und dann noch mal: Was?

Das Traurige an der ganzen Geschichte ist wohl, dass sie heute leider vielerorts der Wahrheit entspricht. Ja, es muss sie geben, die Leute, die sich so sehr fürchten vor dem Fremden, dass sie ihre Angst in Hass verwandeln und rechtspopulistisch aktiv werden, oder zumindest mit ihrer Stimme die Politik so beeinflussen, dass sie in die rechte Richtung geht. Es lässt sich nicht leugnen, in unserem Land gibt es wirklich Leute, die Boateng nicht als Nachbarn haben wollen. Aber das alleine ist meiner Meinung nach keine Rechtfertigung für Gaulands Aussage. Es bleibt doch die Frage, was genau das Problem sein soll, wenn neben dir ein Mensch mit Migrationshintergrund wohnt.

Steht eine dunkle Hautfarbe automatisch für Probleme? Für Gewaltexzesse, Lärmbelästigung, Diebstahl oder – mir gehen die Beispiele aus. Was macht es für einen Unterschied, ob du morgens auf dem Weg zur Arbeit einen Boateng oder einen Schweinsteiger grüßt? Der Vergleich mit den Fußballspielern ist eigentlich überflüssig. Letztendlich spielt die Profession deiner Nachbarn auch keine Rolle. Es ist immer unangenehm, auf engem Raum mit Menschen zu wohnen, die stören, Dreck oder Probleme machen. Aber es ist doch in erster Linie NICHT von Bedeutung, woher diese Personen stammen, denn ganz ehrlich: was ändert das schon an der Sache?

Die AFD ist nicht begeistert von Ausländern. Ihnen wäre es wohl am liebsten, wenn dieses Phänomen einfach nicht existieren würde. Bereits in der Vergangenheit haben sie Aussagen getätigt, die einen halbwegs mitdenkenden, und vergangenheitsbewussten Menschen aufmerksam gemacht haben. Ich weiß, was damals passiert ist. Was wir in Grafeneck gehört und im Geschichtsunterricht behandelt haben ist mir immer noch präsent. Heute will man solche Leute nicht als Nachbar haben, was ist dann morgen? Und übermorgen? Andererseits – so laut und präsent die AFD heute wirkt, so still kann sie morgen schon wieder sein. Wir haben es gesehen: sie kann unter- und auftauchen, schneller als wir im Schwimmunterricht.

Aus diesem Grund stellt sich die Frage, wie sinnvoll es wirklich war, Gaulands Aussage so aufzubauschen. Denn letztendlich hat die AFD damit genau das erreicht, was sie so dringend braucht, um sich am Leben zu halten: Aufmerksamkeit. Ganz Deutschland diskutiert, protestiert, hinterfragt, aber es wird auch immer einen Prozentsatz an Menschen geben, die Aussagen wie die über Boateng nicht als negativ, sondern als nachvollziehbar empfinden. Der AFD helfen, voran zu kommen? Nicht unbedingt das Ziel der Allgemeinheit.

Aber da ist auch diese andere Seite, und ich kann eigentlich gar nicht sagen, wie mich das fasziniert und begeistert hat, was in den letzten Tagen im Netz los war. Ich finde es prinzipiell immer spannend, wie in sozialen Netzwerken mit derartigen Ereignissen umgegangen wird, und ich könnte Stunden nur damit verbringen, Kommentare zu lesen, in denen die unterschiedlichen Seiten so klar werden wie selten. Vor allem, wenn es so positiv ist, wie bei der Nachbarschafts-Debatte. Der Rückhalt und die Unterstützung, den Boateng erfahren durfte, ist unglaublich. Nicht dass er ihn gebraucht hätte – ich schätze ihn als sehr selbstbewussten und charismatischen Menschen ein – aber es setzt ein starkes Zeichen, wenn tausende von Menschen den Hashtag #SeiUnserNachbar posten. Kollegen von Boateng, Vertreter des deutschen Fußballs und zahlreiche Satire-Zeitungen haben reagiert, und ihre Stellung klargemacht. Es war unglaublich, und ich feiere so viele Posts! Ganz  besonders übrigens den von Hans Sarpei auf Twitter – der Mann hat ja so recht, finde ich!

Die AFD hat in den letzten Tagen jede Menge Aufmerksamkeit bekommen, keine Frage, aber dafür auch jede Menge Gegenwind.

Und ihre Logik werde ich trotzdem nie verstehen. Wenn schon Ausländer, finden sie, dann muss der zumindest komplett vorbildlich integriert sein, um einigermaßen akzeptiert zu werden. Und dann ist da ein Boateng, der in der deutschen Hauptstadt geboren wurde und es mit seinem verdammten fußballerischen Talent in die Nationalmannschaft geschafft hat, und alles was sie dazu sagen:

fremd ist er immer noch.

Ich empfehle ihnen dringend, die Definition und den Umgang mit dem Wort „fremd“ noch mal genauestens zu bedenken, und dazu werden sie auch viel Zeit haben, wenn ihr Parteibanner in den nächsten Tagen wieder von der Bildfläche verschwindet. Bis sie dann – wann auch immer- zum nächsten gut gemeinten Schlag ausholen.

Machts gut!

 

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.