Das da oben, das bin ich. Und das Bild hier, das bin auch ich.
Zwischen diesen Bildern liegen viele viele Jahre, und die Gemeinsamkeit liegt darin, dass ich auf beiden Bildern glücklich bin. Mit dem Unterschied, dass die ältere Version meiner selbst schon weiß, wieso. Denn diese strahlende Person, die wohl ich selbst sein soll, lebt schon 18 Jahre auf dieser Welt. Je länger und je mehr und je stärker man lebt, desto weniger kann man nur glücklich sein. Deswegen ist dieses Mädchen, ich, schon so einige Male gegen die Wand gelaufen und hat verwundert, verwirrt und frustriert festgestellt, dass es niemals eine Garantie gibt, dafür dass alles so passiert wie wir es uns ausmalen. Dass dieses Leben zwischen geliebt und verflucht schwankt, schneller als ein einfaches „NEIN“ einen Traum platzen lassen kann. Manchmal jagt eine Schönwetterperiode die nächste und manchmal kommt man sich vor, als würde der April des Lebens im Schnelldurchlauf abgespielt werden. Ich bin nass geworden – sehr, sehr oft, aber in diesem Moment hat mich die Wärme des Augenblicks wohl wieder getrocknet.
Liebe Kindheit,
an diesem Tag musste ich mich von dir verabschieden – obwohl eigentlich du dich von mir verabschiedet hast, über Jahre hinweg Stück für Stück, aber doch so still und leise, dass ich kaum eine Chance hatte es zu bemerken. Vielleicht wollte ich es nicht bemerken. Jetzt bin ich 18 Jahre alt. Volljährig. Erwachsen. Viele Worte beschreiben diesen Lebensabschnitt, aber keines davon beinhaltet, wie sich das anfühlt.
„Ich möchte nie erwachsen werden!“ habe ich als Kind so oft gesagt. Ich habe nie verstanden, wieso meine Freunde um mich herum stets „Erwachsen“ spielen wollten. Du warst für mich so wunderschön. Und ich kann dir so dankbar sein, dafür dass du mir in meinem Leben im Endeffekt mehr gegeben als genommen hast. Dass ich aufwachsen durfte, umgehen von Menschen die mich liebten, dass ich Hass und Hunger nur aus dem Fernsehen kannte. Mein Glück bestand darin, auf meinem Steckenpferd durch die Wiesen um unser Haus herum zu reiten. Abends mit Hanni und Nanni ins Bett zu gehen. Eine zwei Meter lange Schlange zu häkeln, nachdem meine Oma zu Beginn fast an meinen Nicht-Häkelkünsten verzweifelt wäre.
Du hast mir zwei wundervolle Schwestern geschenkt, mit denen ich die schönsten Erlebnisse und noch viel bessere Streits und Prügeleien hatte. Ganz ehrlich, wer mit diesen zwei kleinen Biestern aufwächst, der ist für alles gewappnet. Und ich würde sie nie, nie wieder hergeben.
Das Schlimmste was du mir angetan hast waren Tage, an denen ich krank war und nicht in meine geliebte Schule durfte, das Überfahren meiner kleinen Katze und die Angst vor dem Älterwerden und dem Kranksein. Ich weiß noch, wie ich einmal nicht schlafen konnte, weil mich die Angst vor dem Tod plagte, wie es jedem kleinen Kind einmal geht. Ich bin ins Wohnzimmer gegangen und habe meinem Vater davon erzählt. Er hatte darauf die beste Antwort der Welt. Er zeigte mir ein Bild von einem Mann im Internet, der 100 Jahre alt war und immer noch lebte.
Kindheit, du hast mir beigebracht, sich am Positiven festzuhalten. Durch dich bin ich gewachsen. Du hast mich nicht eingeengt, sondern gehalten. Du hast mich nicht belehrt, sondern gestärkt. Nicht bezwungen, sondern herausgefordert. Und du hast mir gezeigt, dass es nicht allen Kindern auf der Welt so geht, hast mich dazu angetrieben, zu helfen wo es nötig ist. Ich war zehn Mal Sternsinger, ich war Möchtegern-Autorin mit Erstveröffentlichung im Kindergarten, Malerin von tausend Krakeleien, Mandala-Hasserin, Mathekatastrophe, Leseratte, Nervensäge, Abenteuersuchende, viel zu frech – und glücklich. Zu jeder Zeit.
Vielleicht wache ich eines Tages auf und schaffe es, in vollem Maße zu begreifen, wie frei ich plötzlich bin. Ich kann überall hingehen, wo ich will. Niemand hält mich. Ich werde das alles zu schätzen lernen, aber lieben werde ich es nicht. Lieben werde ich meine Kindheit, für immer. Ich hoffe, ich kann ein kleines Stück von dir für immer bewahren, in den Erfahrungen die ich gesammelt, und in den Menschen, die ich getroffen habe.
Ich kann so dankbar sein für diese Menschen, die an den dunkelsten wie an den hellsten Tagen bei mir sind. Die ich in meiner Kindheit kennengelernt habe. Manche von ihnen habe ich dort zurückgelassen, vor Jahren schon. Vergessen werde ich sie nicht. Und manche machen diesen so wichtigen Schritt mit mir, und sind hoffentlich auch noch in zehn Jahren dort wo sie hingehören – einen Schritt neben mir oder schlimmstenfalls ein Telefongespräch entfernt.
Das, was mich am Erwachsensein vielleicht am meisten schreckt, ist das Allein sein. Das, was mich am meisten dabei tröstet, sind meine Freunde, die du mir durch zufällige Begegnungen, schicksalshafte Ereignisse und skurril klingende Geschichten gesandt hast. Damit ich ab dem 03. Oktober 2017 auch ohne dich klarkomme.
THE SECRET TO HAVING IT ALL
IS KNOWING YOU ALREADY DO.
Das ich alles habe, das war nicht immer leicht zu begreifen. Das ist es nie. Besonders in den Wochen vor meinem Geburtstags glaubte ich nicht mehr an dieses „Alles“. Ich war nur noch krank, Luft zu bekommen war ein seltenes Privileg und das Schuljahr mit seinem zentnerschweren ABITUR-Ende machte mich bereits wahnsinnig. Ich hatte keinen einzigen Anspruch mehr an diese Nacht, ich wollte einfach nur 18 werden, das Drumherum war mir egal. Having it all? Völlig unerreichbar. Und so utopisch. Und so hat mich diese Nacht, in der Diskothek mit meinen Freunden, Geburtstagsständchen um 00:00 Uhr, lange Umarmungen, Freudenstürme, eine wunderschöne Geburtstagstorte und eine durchgemachte Nacht mit meinen engsten Freunden völlig überrumpelt. Dass ich längst alles habe -das ist mir in dieser Nacht und am darauffolgenden Tag, und an meiner Geburtstagsfeier klargeworden.
Dass ich dich, Kindheit, deswegen nicht mehr so brauche wie noch vor ein paar Jahren- das auch. Ich kann dankbar auf meine Familie blicken, die trotz zahlreicher Reibereien ( die übrigens auch mit Eintreten der Volljährigkeit nicht weniger werden – schade aber auch) immer zusammenhält, wenn es darauf ankommt. Danke Kindheit. Ich werde dich sicher nicht ganz gehen lassen. Ich werde die kleine Tabitha in mir bewahren und ab und zu zu Wort kommen lassen. Das verspreche ich.
Was auch auf mich zu kommt – ab jetzt bin ich bereit. Und ich kann es kaum erwarten.