Hallo ihr,
Wie ihr vielleicht noch wisst, war ich Anfang November Teil des Europakonzils in Straßburg, und wie ihr vielleicht auch wisst, war ich kurz darauf auch auf SMV-Tagung. Diese beiden Ereignisse, und natürlich auch die aktuelle politische Situation, haben in mir die Motivation und den Drang geweckt, selbst aktiv zu werden und Flüchtlingen zu helfen. Und damit meine ich nicht nur, alte Klamotten und andere nützliche Dinge in die LEA in unserer Kreisstadt zu bringen (was ich mit meiner Mutter letzten Sommer gemacht habe).
Auf der SMV-Tagung entstand dann relativ schnell eine sogenannte Flüchtlings-AG, der ich beigetreten bin, und die heute einen ihrer ersten richtigen Einsätze hatte. In der Stadt, in der ich zur Schule gehe, sind seit Ende 2015 insgesamt circa 75 Flüchtlinge in einer ehemaligen Firma untergebracht- ausschließlich Männer im Alter v0n 16 bis etwa 40 Jahre. Engagierte Bürger der Stadt haben zusammen das sogenannte „Asylcafé“ eröffnet, das den Flüchtlingen als Begegnungsstätte und Aufenthaltsort dient.
Ein ehemaliger Lehrer bietet dort jetzt regelmäßig Spielabende an, und wir von der Flüchtlings-AG wurden gefragt, ob wir dort mal vorbei schauen wollen. Ja, wollen wir – und der erste Termin war heute.
Da am 01.Februar der zweite Teil des Europakonzils in Straßburg beginnt, und wir in Kehl ebenfalls ein Flüchtlingsheim besuchen werden, waren meine Cousine und ich uns sofort einig, dass das eine optimale Gelegenheit wäre, uns noch ein bisschen für das Konzil vorzubereiten.
Bevor es losging, gingen uns dann doch einige Fragen und Ängste durch den Kopf.“ Was, wenn uns die Flüchtlinge auslachen, wenn wir mit ein paar Spielen um die Ecke kommen?“ dachten wir, und: „Wie kann das überhaupt klappen mit der Verständigung?“ Ob man es will oder nicht, Ereignisse wie die in der Silvesternacht in deutschen Städten prägen sich ein und hinterlassen Spuren. Spuren von Unsicherheit und Angst. Deshalb waren wir froh, dass uns die Leiterin der Flüchtlings-AG, unsere ehemalige Spanischlehrerin, begleitet hat.
Zunächst sind wir zu der Flüchtlingsunterkunft gefahren- dort war ursprünglich ein Treffpunkt mit dem ehemaligen Lehrer geplant- , die wir zuvor auch noch nie gesehen haben. Ganz ehrlich, ich musste schlucken, als das Auto auf dem Hof hielt. D
Das Zuhause dieser Männer ist nichts anderes als eine alte, stillgelegte Containerfirma mit Schutt und alten Badewannen auf dem Hof und grellem Neonlicht, dass uns durch die schmalen Fenster entgegen strahlte. Auch der Innenhof erweckt nicht gerade ein Heimatsgefühl. Wir haben an der Türe geklingelt und gewartet, und schon da habe ich durch die Gangfenster einige Flüchtlinge entdeckt, die neugierig zu uns schauten. Mir wurde ganz unbehaglich. „Was machen wir hier?“ dachte ich, „Wieso dringen wir in ihre Welt ein? Wieso glauben wir, ihnen mit ein paar Runden Mensch-Ärger-Dich-Nicht das Leben zu erleichtern?“ Ich konnte nicht mehr lange darüber nachdenken, weil uns die Türe in einen großen, überheizten Vorraum geöffnet wurde. Es war kein Betreuer, sondern ein Flüchtling. Und binnen Sekunden tauchten immer mehr Flüchtlinge im Gang auf, die meisten dunkelhäutig. Sie grüßten uns alle erfreut, wanken mit den Händen und riefen Dinge wie „Welcome!“ und „Come in!“ Ich kam mir fast vor wie eine Sensation, und wenn ich so darüber nachdenke, dann waren wir das in diesem Moment vermutlich auch, denn so viel Abwechslung kann es ja gar nicht geben in einem Containerzuhause, in dem man sich doch nie richtig daheim fühlen kann. Wir versuchten, den Flüchtlingen zu erklären, dass wir einen gewissen Lehrer suchten, aber die Flüchtlinge kannten den Namen nicht und entschuldigten sich hilflos. Aufhören, uns einzuladen und auf eine kleine Sitzgruppe in der linken Ecke zu deuten, wollten sie allerdings nicht. Man könnte sagen es war eine bizarre Situation, aber irgendwie war es auch einfach nur lustig, und die Offenheit der Flüchtlinge auf fremde Menschen, die einfach so in ihrer Unterkunft auftauchen, hat mich schwer beeindruckt.
Da wir im Flüchtlingsheim keinen Erfolg hatten, beschlossen wir, weiter ins Asylcafé zu fahren. Hier wurden wir fündig, und zwar gleich doppelt: erstens, es gab jede Menge Flüchtlinge, die uns wieder lachend und gut gelaunt begrüßten, und zweitens fanden wir den vermissten Lehrer, der sich gerade mit einer Gruppe aus dunkelhäutigen Jugendlichen am Tischkicker amüsierte. Ein Helfer im Asylcafé, dessen Tochter auch bei uns in der AG ist, hat uns durch das Asylcafé geführt. Es gibt dort eine Küche, in der sich alle selbstständig versorgen, unter anderem mit türkischem Schwarztee, wie wir erklärt bekamen. Besonders Flüchtlinge aus Syrien genießen dieses Getränk, und ich habe mir vorgenommen, es auch mal zu probieren (allerdings nicht abends, sonst liege ich 100 pro die ganze Nacht wach). Weiter stehen drei Räume mit Tischen und Stühlen zum Reden, Spielen und Essen zur Verfügung, und das Herzstück des Cafés , den Tischkicker, habe ich ja schon erwähnt. Spannend wurde es, als wir unsere Jacken auszogen. Und tatsächlich brachten wir sie in einen Raum, der zugeschlossen wurde. Der Helfer erklärte uns aber, dass das reine Routine war, und er keinem einzigen Asyl-Café-Besucher zutraute, zu stehlen. Ich glaubte ihm aufs Wort.
Den Moment, als wir zu dritt wieder in das „Spielezimmer“ kamen, werde ich nie vergessen. Die Leute, die an den Tischen saßen begrüßten uns sofort, deuteten auf die leeren Stühle neben sich und luden uns ein, mitzuspielen. Kurz darauf waren meine Cousine und ich schon in ein Memory-Match verwickelt, zusammen mit drei Flüchtlingen und unserer Lehrerin. Leider handelte es sich um ein Naturmemo, bei dem meine Cousine und ich biologische Grundlagen erfuhren, die wir noch nie im Leben gehört hatten 😀 Und die Flüchtlinge in unserem Team wissen jetzt auch Bescheid über Schwanzlurche, Steinböcke und Zitronenfalter 😀 Es war so unglaublich toll, in der Gruppe zu spielen. Verständigt haben wir uns in einem Mischmasch aus Englisch und Deutsch, wobei den Flüchtlingen anzumerken war, dass sie deutlich lieber Deutsch als Englisch sprechen. Wenn gar nichts mehr ging, war Google Übersetzer zur Stelle, und untereinander haben sich die Flüchtlinge auch mal auf Arabisch unterhalten. Krasse Sprache, muss ich schon sagen! Ständig gab es etwas zu lachen, die Jungs machten viele Witze und zockten uns auch manchmal ganz schön ab. Einer von ihnen hat zu tausend Prozent ein fotografisches Gedächtnis, der hat abgeräumt ohne Ende, was wir anderen alle nicht so toll fanden 😀
Als die Zeit um war und wir gehen mussten, haben meine Cousine und ich haushoch beim Memory-Spiel verloren, aber gleichzeitig so viel gewonnen, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann. Keine meiner Ängste wurde bestätigt. In diesen eineinhalb Stunden konnte ich mich einfach gut fühlen, weil ich wusste, ich tue etwas richtiges, wichtiges, und weil mir klar geworden ist, dass selbst diese kleine Tat – eine Memory-Runde an einem Mittwochabend- die Welt in gewissermaßen verändert hat, die Welt von mir und uns und allen, die an diesem Tisch gesessen sind und gelacht haben, wenn Mohammad zum hundertsten Mal die gleiche Karte aufgedeckt hat. Immer hört man im Radio: Flüchtlingskrise hier, Flüchtlingskrise da, und immer fühlt man sich so hilflos. Man denkt, man kann nichts tun, nur zusehen, aber das stimmt nicht. Man kann immer etwas tun. Und ich sag euch eins: es fühlt sich verdammt gut an.
Ich habe so einen riesengroßen Respekt vor diesen Menschen, die schon so viel durchmachen mussten in ihrem Leben, die Menschen zurücklassen mussten, die alles für sie waren, und die alles aufgaben, für das eine: eine Zukunft. Dass diese Menschen immer noch so glücklich und breit lachen können, lässt mich irgendwo ganz tief in mir hoffen, hoffen dass unsere Welt sich wieder einkriegt. Wenn ihr die Möglichkeit habt, zu helfen, dann tut es, und wenn ihr es nicht für andere tut, dann tut es bitte für euch selbst. Es ist so, so wichtig.
In diesem Sinne euch allen noch eine schöne Restwoche,
wir sehen uns- oder auch nicht 😉