Menschen ändern sich

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Busbahnhöfe sind etwas Faszinierendes, finde ich. Ich ziehe die Kapuze meiner knallgelben Regenjacke über die ohnehin schon feuchten Haare. Mein Fokus liegt auf dem Treiben an der Ausfahrt zur Hauptstraße. Unaufhörlich fahren die Busse ein und aus und zwischen den Haltestellen herum, alles ist geregelt und kontrolliert, kein Bus prallt auf den anderen. Jede Ankunfts- und Abfahrzeit ist punktuell festgelegt, angegeben auf den weißen Tafeln, Schilderwald, und die Menschen mit den Koffern und Taschen verlassen sich darauf.

Zwischen den Bussen und dem Regen taucht eine Person auf, die furchtbare Angst vor dem nass werden hat. Die blaue Regenjacke ist ein Ungetüm, das Gesicht wird von der Kapuze verdeckt. Fast. Als sich die Person in meine Richtung wendet, blitzen blaue Augen auf. Im bläulichen Schein der Kapuze intensiv-blau , aber eigentlich sind sie heller. Wie das Meer wenn es hell wird, wie Eis, mein Gehirn ist schockgefrostet.

„Hallo.“ Er erkennt mich erst an meiner Stimme, vielleicht weil es braune Augen gibt wie Sand am Meer. Wie gesagt…wenn es hell wird.

„Hallo du.“ 4 Jahre und 5 Monate sind eine lange Zeit, eine Zeit in der die einen die Tage zählen und die anderen vergessen, wie man heißt. Die Rollen sind bei uns so klar verteilt wie die Abfahrtszeiten der Busse. Und offensichtlich weiß er nicht, was er sagen soll, denn er zeigt etwas unbeholfen auf das Haltestellenschild. „Fährst du auch in die Stadtmitte?“ Seine Zähne sind immer noch blitzblank und so gleichmäßig, als würden sie geradewegs der Werbebroschüre eines Kieferorthopäden entspringen. „Ja.“ sage ich. „Zwei Stationen.“ Weil wir schon am ZOB sind, längst in der Stadtmitte. Weil er nur nicht weiß, was man sonst so sagt. Weiß ich auch nicht.

„Was machst du eigentlich hier?“ frage ich. Ich bin stolz auf mich, weil meine Frage sinnvoller ist als seine. Und ich stelle sie, weil ich es wirklich wissen will. „Ich habe einen Termin.“

Er will nicht. Will nicht, dass unsere Unterhaltung zum Gespräch wird, dass es tiefer geht, dass wir danach wirklich sagen können: wir haben uns wiedergesehen. Er macht mich zu einer Fremden zu der man höflich sein muss. Das erinnert mich an damals, und es macht mich auf die selbe Weise wütend, der Altersunterschied ist unbedeutend.

Jenseits unseres Nichts-Gesprächs bewegt sich das System des Busbahnhofes weiter. Unser Bus fährt an und er ist so randvoll, dass wir beide im Mittelgang stehen müssen. Er stellt sich mir gegenüber, entgegen der Fahrtrichtung, und klammert sich mit einer Hand an der Haltestange über ihm fest. Die Regenjacke ist nach unten über den Ellenbogen gerutscht und gibt den Blick frei auf seine Haut, von Sehnen durchzogen, mit angespannten Muskeln. Die Kapuze hat er abgenommen und jetzt stehen seine dunkelblonden Haare in alle Richtungen ab. Die Kapuze scheint nicht all zu viel genützt zu haben, sie sind nass.

Wenn er keine Lust auf ein Gespräch hat, wieso dreht er sich dann zu mir? Denn er sieht nicht hin. Seine Augen wandern unerlässlich zu den verregneten Busscheiben. Vom Verkehr ist nicht viel zu sehen, aber es scheint ihn nicht zu stören. Will er alles lieber sehen als mich?

Im Bus ist es immer laut, aber wir sind wie in einer stillen Blase. Bis er den Mund aufmacht. „Studierst du hier?“ Ich nicke und sehe, wie die Blase zerplatzt. „Französisch im dritten Semester.“ „Achso.“ antwortet er, plötzlich wieder in vollkommener Desinteresse. Ich seufze so leise, dass er es hoffentlich nicht hört. Wenn ich darüber nachdenke, ich mag die Art des Busbahnhofes. Ich war nie ein ordentlicher Mensch, aber es ist schön zu sehen wie die Busse ein und ausfahren, wie das ausgetüftelte System funktioniert. Nichts Unvorhergesehenes das wirklich Wellen schlägt, kann hier geschehen. Wer her kommt, weiß längst was ihn erwartet. Keine Ausnahmen, nichts. Bei ihm ist es anders. Man weiß nie, an was man ist. Damals wollte ich die sein, die er mitnimmt auf seine Achterbahnfahrt, ich war bereit für ihn zu lachen und zu weinen.

Jetzt schweigen wir beide. Ich warte darauf, dass die bunte Blase sich automatisch wiederherstellt, aber es passiert nichts. Nach den zwei Stationen steigen wir aus wie Fremde. Es hat in der Zwischenzeit aufgehört zu regnen. „Halt.“ sagt er plötzlich, eine Sekunde bevor er aus meiner Hörweite geraten wäre. Ich sehe ihn fragend an.

Er holt Luft und ich sehe ihm an, dass er nicht die richtigen Worte parat hat für das, was er sagen will. „Was ist mit deinem Leben?“

„Es ist gut.“ sage ich langsam. Danach bin ich gefühlt vor Jahren das letzte Mal gefragt worden. Jetzt denke ich darüber nach und stelle vollkommen überrascht fest, dass ich recht habe. Es ist gut. Es war auch gut, als er noch nicht zwischen den Bussen aufgetaucht ist.

„Schön.“ antwortet er. „Und du?“ frage ich aus Höflichkeit. „Hast du deine Freundin noch?“ Die, die er anstandslos, unkompliziert und ganz spontan gegen mich ausgetauscht hat. Da schüttelt er den Kopf. „Nein.“ „Aber ihr habt doch so gut zusammengepasst!“ Ich meine es ernst. Am Anfang war das schwer, aber jetzt kann ich es mir eingestehen. „Mhhm..“ macht er, und seine Augen sehen wieder mal an mir vorbei. „Menschen ändern sich.“
Ja, denke ich mir, und manche sich auch einfach überhaupt nicht. Ich drehe mich um und gehe, und die Sonne schiebt sich vor die Regenwolken, als wäre sie nie weggewesen.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.