Ich liege im Bett und weine. Ich weine um all die Menschen, die in meinem Leben waren, und es jetzt nicht mehr sind. Ich weine, weil sie mir wichtig waren, aber vielleicht auch, weil sie es immer noch sind, obwohl es nicht so sein sollte. Ich stelle mich gegen das System. Ich wehre mich mit aller Kraft gegen die Tatsache, dass Menschen kommen und gehen, und dass man nichts dagegen tun kann. In allen Naturgesetzen dieses Universums spiegelt es sich wieder. Die Wellen, die nur an den Strand gespült werden, um wieder zurückzugehen. Ebbe und Flut, Kommen und Gehen. Ich kann zusehen, wie das klare Wasser meine Füße umspült und ein paar winzige Muscheln mitschwemmt, aber egal wie sehr ich mich bemühen würde, ich könnte nicht verhindern, dass die Welle wieder verschwindet, bis Sekunden später eine neue Welle kommt. Sie erzählt eine andere Geschichte, von jemandem der sie vielleicht irgendwo auf der anderen Seite des Meeres in das Rauschen geflüstert hat.
Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, die er erzählt, mit allem was er ist und tut, was er sagt, wie er lacht, wie seine Augen funkeln. Kein Leben gleicht dem anderen, niemand ist gleich. Vielleicht ist das der Plan, dass wir so viele Geschichten wie möglich kennenlernen. Am Ende unseres Lebens sind wir erfüllt von allem was wir gehört und gesehen haben. Ich möchte später gerne jemand sein, der viel zu erzählen hat, so wie ich jetzt gerne zuhöre, wenn Menschen aus ihrem Leben berichten.
Aber was, wenn ich manche Geschichten so sehr mag, dass ich sie nicht gehen lassen will? Weil ich ein Teil von ihnen werden will, so wie diese Menschen unweigerlich zu einem Teil meiner ganz eigenen Lebensgeschichte geworden sind?
Es ist so schön zu wissen, dass wir uns vermischen, Erfahrungen tauschen, Momente teilen, uns verbinden zu einem Ganzen. Zwei Geschichten, die sich kreuzen, zwei Buchseiten mit identischen Worten und Bildern. Aber letztendlich ist es doch immer so, dass wir uns nur streifen, dass die Geschichte die sich Leben nennt, von Kapitel zu Kapitel anders aussehen kann. Manche Kapitel bestimmen wir vielleicht selber, aber andere werden für uns bestimmt.
Ich hatte einen besten Freund, der vor zwei Jahren die Schule wechseln musste, weil er umgezogen ist. Und auch wenn wir über WhatsApp und so weiter noch Kontakt haben, ist es nicht das Selbe geblieben. Er hat genau so neue Freunde gefunden wie ich, und es ist schon fast absurd, wie austauschbar wir doch alle sind. Nur – was hätten wir denn machen sollen? Beide einsam bleiben? Ich glaube manchmal wir rechtfertigen uns viel zu viel über Dinge, die wir nur tun, um uns am Leben zu halten. Aber was ich eigentlich meine: mein bester Freund ist weg, verschwunden von der Bildfläche meines alltäglichen Daseins. Viel schlimmer ist es, wenn du jemanden kennst, und ihr euch von einander distanziert, aber nicht räumlich, nur seelisch. Es gibt Menschen, denen begegnest du tagtäglich auf dem Schulgang und trotzdem sind sie längst gegangen. Ich glaube, das sind die schmerzhaftesten Fälle. Das Gute daran: wenn sie dann irgendwann auch räumlich verschwunden sind, fällt es dir gar nicht mehr so sehr auf.
Was wird es später für ein Gefühl sein, zurückzuschauen? Auf Phasen meines Lebens, in denen Leute meine Freunde waren, die ich jetzt nicht mehr kenne? Kann ich einfach dankbar sein und lächelnd an unsere gemeinsame Zeit denken, oder geht es mir genau wie jetzt? Es ist kein schönes Gefühl, zu versuchen, die Wellen festzuhalten. Es nützt nichts. Ich muss es aufgeben.
Nur in meine Träume kehren sie alle früher oder später zurück, und ich weiß nicht, ob das ein Fluch oder doch vielleicht auch ein Geschenk ist. Menschen, die mein Leben vor Jahren verlassen haben treffen auf meine besten Freunde von heute, alles vermischt sich, und wenn ich aufwache bin ich meistens einfach nur verwirrt. Und mit einem gewissen Stich im Herz wird mir klar, dass das, was gerade noch so real war, schon lange nicht mehr da ist. Aber sie würden mir fehlen, diese nächtlichen Treffen in denen die Wirklichkeit für eine kurze Zeit keine Rolle spielt. Ich bin vielleicht verrückt – nicht nur vielleicht- aber ihr könnt nicht sagen, dass ihr nicht auch schon das Gefühl hattet, einen Traum gemeinsam zu träumen.
Und dann sind da noch die Menschen, die sind irgendwie schon immer da. Nicht zeitlich, sondern vom Gefühl her. Wie eine ultragroße, nicht enden wollende Welle, die um meine Knöchel schwimmt und mir sagt: Sorry, aber so schnell wirst du mich nicht los. Gott wie bin ich dankbar für diese Menschen, die die Felsen sind in meinem chaotischen Meer, die mich immer wieder daran erinnern, wer ich selber bin. Wir können vielleicht keine Wellen festhalten, aber wir können die Muscheln sammeln die sie anspülen, und es genießen, wie sie uns berühren und verändern.
Mit der Zeit erkennen wir, wer es Wert ist, in unserer Geschichte vielleicht auch zwei oder drei Kapitel zu beeinflussen – oder alle.
Vor uns allen liegen mega coole Zeiten, und ich schätze mal wir werden da jetzt rausgehen, mit Vollgas durch den Regen und die Sonne, und diesem Sommer seine ganz eigene Geschichte verleihen.