2022, Kapitel Eins

Kategorien Tagebuch

Es ist der 31. Januar, eine Stunde vor Mitternacht, und mit einer gewissen Fassungslosigkeit stelle ich fest, dass der erste Monat des neuen Jahres vorbei ist. Während gesamt 2021 in Schneckengeschwindigkeit vor sich hin geschlichen ist und die aktualisierten Corona-Verordnungen die bahnbrechendsten Entwicklung darstellten, waren die ersten 31 Tage diesen Jahres eine einzige Achterbahnfahrt der Veränderungen. Was soll ich sagen – ich bin so weise und gelassen geworden. Oder so ähnlich.

Am Neujahrstag habe ich drei Dinge gelernt. Erstens: stimmt, das Leben fühlt sich ja schön an, wenn die Sonne scheint. Zweitens: dass die Sonne scheint, heißt nicht, dass man bei einem Bad in der Dreisam nicht kläglich erfrieren wird. Drittens: aber manchmal muss man Dinge wie Baden im Januar trotzdem tun, damit man wieder weiß, dass man im Leben selbst entscheidet.

Alles Gute kommt von oben

Am dritten Tag des neuen Jahres landete Vogelschiss in der Größe einer Kastanie auf meinem Kopf, während ich auf dem Fahrrad die Schwarzwaldstraße Richtung Zuhause entlang fuhr. Auf einer der Linden über der Allee saß eine ausgewachsene Krähe und sah mich aus ihren glänzenden Stecknadelaugen irgendwie triumphierend an. Ich – die sich leider reflexartig mit der vollen Hand auf den Kopf gefasst hatte – starrte zurück und konnte nicht glauben, dass das gerade passiert war. Und wollte mir auf der Stelle die Haare abschneiden. Letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als der Aufmunterung eines Freundes zu vertrauen – anscheinend bringt sowas nämlich Glück.

Wir nutzen die Miete voll aus Episode 4

An Tag 5 des neuen Jahres war es an der Zeit für etwas, wonach wir uns alle schon lange wieder gesehnt hatten: eine Quarantäne. Zu diesem Zeitpunkt galt: wer Kontaktperson von einer mit Omikron infizierten Person war, musste sich ohne Freitesten für zehn Tage in Quarantäne begeben. Quarantäne Nummer 4 blieb genauso unnötig und negativ wie alle anderen zuvor, aber immerhin saßen ziemlich viele von uns im selben Boot und ich lernte wieder einmal, wie wertvoll Me-Time sein kann. Vor allem, wenn man sie vor einer Tageslichtlampe aka dem besten Produkt, das ich mir je angeschafft habe, verbringt.

Zur allgemeinen Erheiterung hier noch ein paar Ausschnitte aus der Sammlung „Was Quarantäne mit uns macht“:

  • „Quarantäne Tag 2: der Lüftungsbalken hat exakt 1192 Löcher, auch ansonsten geht es mir gut.“
  • „Manche Corona-Tests sehen viel schöner aus als andere Corona-Tests!“
  • „Ich bin auch gar nicht allein in der Küche, meine Freunde Kühlfrank, Herbert und Mülllrainer sind auch dabei.“

Tja, und auch sonst kam es uns sehr entgegen, dass sich nach einigen Tagen in Quarantäne die Regeln änderten und wir mit einem negativen PCR-Test in die Freiheit zurückkehren konnten.

Wenn der Wind sich dreht

Danach ging die Uni weiter, in einer seltsamen Mischung aus altbekannter Online-Lehre und einzelnen in Präsenz fortgeführten Seminaren, in denen jeder krampfhaft versuchte, keine Sekunde zu lange an die tagesaktuelle Inzidenz zu denken. Mitten in dieser fünften (sechsten? siebten?) Welle träumte ich optimistisch weiter von meinem nahenden Auslandssemester an einer Universität in Catania, zu der die Freiburger Germanistik seit vielen Jahren eine Partnerschaft pflegt. „Wir haben unsere Partnerschaften grundlegend neu aufgestellt“, verkündete am 17. Januar der Studiengangskoordinator im Zoom-Call. Ich saß stocksteif vor dem Laptop und sah zu, wie die Powerpoint mit den tollen neuen österreichischen Partneruniversitäten meinen Traum vom sizilianischen Winter zerplatzen ließ wie Seifenblasen. Innerhalb weniger Stunden warf ich alle meine Pläne über Bord (der Fähre nach Sizilien auf der ich nicht sein werde :D), und entschied mich um. Mir wären dazu noch Wochen geblieben, aber so funktioniert das bei mir irgendwie nicht, sobald ich ein Bauchgefühl habe. Am Ende des Tages stand fest, dass ich mich für ein Auslandssemester über das Romanische Seminar nach Padua bewerben werde. Padua liegt bei Venedig, und auch wenn in mir seit meinen Reisen auf die Äolischen Inseln in den letzten Jahren ein Stück sizilianisches Herz schlägt, fühlt es sich irgendwie plötzlich wahnsinnig richtig an, im September nach Venetien zurückzukehren, dorthin, wo meine Liebe zu Italien vor vielen Jahren begonnen hat.

Ansonsten habe ich im Januar viel Zeit damit verbracht, einfach zu leben. Zwar meistens streng nach meinem Lernplan – die UB wurde mein zweiter Hauptwohnsitz und ich weiß mehr über Maria Stuarts Liebesleben als ich es jemals wollte – aber auch in den kleinen Momenten. Ich habe angefangen, mir jeden Abend drei Dinge aufzuschreiben, die an dem Tag schön waren. Ich war bei einem Online-Geburtstag und habe bis ein Uhr nachts mit Menschen über das Leben geredet, die ich Stunden vorher gar nicht kannte, und es war ein bisschen wie Reisen, nur ohne Fahrt. Ich habe Instagram tagsüber deinstalliert, was bedeutet dass ich mir abends bewusst dafür Zeit nehme und tagsüber wieder geistig anwesend bin, wenn ich in der Straßenbahn sitze oder in der Warteschlange stehe. Mit meinen Freunden bin ich insgesamt 36,4 Kilometer durch den Regen und die Kälte gejoggt. Ich erzähle das alles, weil ich jeden Tag spüre, wie gut Veränderungen tun, die man sich selbst zuliebe vornimmt. Das sollten wir uns wert sein. Immer.

Für einen Tag Corona

Der Januar hat sich angefühlt wie ein Film, der mit einer neuen Form von Colour Grading die Kinos revolutioniert. Gutes Fazit, dachte ich, als sich der Monat schließlich dem Ende zuneigte. Und dann – kam das Wochenende.

An diesem letzten Wochenende, am Sonntag den 30. Januar 2022, war mein Corona-Test zum allerersten Mal positiv. Ich war sicherheitshalber zu einer Teststelle gefahren, weil ich am Freitag Kontakt zu einer Freundin hatte, die am selben Tag positiv getestet wurde. Sobald ich davon erfahren hatte, hatte ich mich in meinen Zimmer vergraben und mein ewiges Einzelquarantänen-Schicksal verflucht, mit dem vagen Gefühl, dass ich mich sowieso nicht angesteckt hatte. So war es bisher ja noch immer gewesen. Als dann zwei Tage später „Positiv“ auf dem Testformular prangte, war ich vor allem eins: unendlich erleichtert. Man muss nur diesen Blog lesen, um zu erahnen, dass ich seit Ausbruch der Pandemie alle paar Monate in komplette Panik ausbreche, aus Angst, mich infiziert zu haben und dadurch Menschen in meinem Umfeld angesteckt zu haben. Mein Verantwortungsgefühl und ich waren noch nie in besonders harmonischem Einklang. Ich will eine Infektion mit Corona nicht verharmlosen, aber gleichzeitig habe ich mich noch nie so nach einer Immunisierung gesehnt wie in Zeiten von Omikron, in denen „wahrscheinlich sowieso jeder infiziert wird“.

Tja, mit diesem Moment begann die Geschichte, in der ich circa 24 Stunden lang freudig der halbe Welt erzählte, dass ich „endlich auch mal“ Corona hatte, mich geistig auf 7 Tage Quarantäne einstellte und über meine baldige Immunität frohlockte. Und dann – kam das negative PCR-Ergebnis. Trotz der düsteren Vorahnung, die ich, symptomlos wie ich war, schon gehegt hatte, beförderte diese Wendung meine Nerven ins Jenseits. Meine Freunde, an dieser Stelle sei erwähnt, dass sie die besten Freunde der Welt sind, hatten bestimmt viel Spaß dabei, aus meinen Gefühlsausbrüchen schlau zu werden. In der Teststelle, in der ich am Vortrag den positiven Test gemacht hatte, sahen sie mir diesen Zustand offenbar sofort an und rammten mir mitfühlend gleich zwei Mal hintereinander das Stäbchen in die Nase. Beide Schnelltests waren negativ.

Bestimmt bin ich der einzige Mensch auf der Welt, der so sehr über ein negatives Corona-Ergebnis trauert wie ich. Ich versuche hiermit, mir erfolgreich klarzumachen, dass es ein unglaubliches Privileg ist, von einer Krankheit verschont zu bleiben, die so viel Leid angerichtet hat auf der Welt und es immer noch tut. Wohlmöglich würde mir eine Infektion gegen die Angst helfen, aber am Ende gibt es immer mehr als nur einen Weg aus der Angst.

Wenn mir der Januar etwas gezeigt hat, dann das. Dass es ziemlich häufig ziemlich anders kommt, als wir es glauben. Ich finde nicht, dass wir deswegen aufhören müssen, uns unsere Träume auszumalen oder To Do-Listen zu schreiben. Es geht nur darum, dass wenn der Wind sich dreht, wir auch bereit sind, seiner Richtung zu folgen. Der britische Schriftsteller Terry Pratchett hat einmal gesagt: „There isn´t a way things should be. There is just what happens, and what we do.“

Vielleicht sind das einfache Worte, aber für mich haben sie viel verändert. Vielleicht war es nur ein Monat, aber vielleicht ist das auch erst der Anfang.

Das erste Kapitel eben.

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PS: Achso, und dann habe ich natürlich noch das Wichtigste von allem gelernt: Traue niemals einem einzigen positiven Schnelltest. Auf dass eure Tests stets negativ sind, und die Achterbahn in eurem Januar möglichst nur bergauf gefahren ist. Vielen Dank, dass ihr das hier lest. Das bedeutet mir so ungefähr alles. Macht’s gut!

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.