Jag die Ängste fort – und die AfD

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Die Emetophobie, nach ICD-10 unter F40.2 für spezifische (isolierte) Phobien, bezeichnet die Angst vor dem eigenen Erbrechen oder dem Erbrechen anderer. Etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung leiden daran. Ich bin mir nicht ganz schlüssig, wie empfehlenswert ein solcher Einstieg für das ist, worum es eigentlich gehen soll, und ganz bestimmt mache ich es nicht besser, wenn ich damit fortfahre, meine eigene Emetophobie hier zu offenbaren – für meine eher spärliche Instagram-Followerzahl genauso wie für potentielle zukünftige Arbeitgeber und diejenigen, die von dem Konzept des offenen Umgangs mit psychischen Problemen noch nicht ganz überzeugt sind. Aber erstens: ich bin überzeugt von letzterem und tue gerne so, als wären wir da gesellschaftlich schon weiter, und zweitens: eigentlich geht es um Rechtsextremismus. 

Man sollte ja generell nie verallgemeinern. Aber wenn sich Rechtextremist*innen treffen, um ein bisschen über die Vorgehensweise zu sinnieren, allgemein alle Menschen, die ihnen in diesem Land nicht genehm sind – ein bisschen Migrationshintergrund, ein bisschen andere Ansichten, dies das – loszuwerden, dann greife ich doch diesen Ton mal auf. Und richte mich damit nicht nur an die physisch anwesenden Personen jenes Treffens bei Potsdam letzten November, sondern auch und vor allem an die Partei, die da so vorrangig mit dabei war: die AfD. Und an die, die sich vorstellen können, mit ihrer Stimme Ja zu sagen zu Plänen, die auch schon ohne die Correctiv-Recherche ein bisschen weit von korrekter menschen- und demokratiefreundlicher Politik weggedriftet sind. 

Eines habe ich aus den Erkenntnissen und Diskussionen angesichts der massiv steigenden Zustimmungswerte der AfD in den letzten Monaten lernen müssen: wenn es um diese Stimmen geht, ist Verallgemeinerung ein gefährlicher Schritt. Entgegen meines eigenen Bildes, an dem ich mich im Sinne des menschlichen Bedürfnisses nach Vereinfachung lange geklammert habe, besteht nicht die ganze Wählerschaft der Afd aus rechtsextremen, fünfzigjährigen Skinhead-Neonazis. Spätestens seit den Wahlen in Bayern und Hessen sind Mutmaßungen der Generationen- und Altersfrage ohnehin hinfällig. Das hat mich zu Beginn so ratlos gemacht – dass offenbar Menschen aller Generationen die AfD zu einer wirklichen, wählbaren Alternative ernennen wollen. Lange Zeit habe ich mich gefragt, was es ist, was junge Menschen in meinem Alter, die mehr oder weniger denselben Geschichtsunterricht, dieselben Erzählungen ihrer Familie und dieselben gesellschaftlichen Grundwerte erlebt haben, antreibt. Die erste Erkenntnis: ich lebe in einer Blase. Einer wohlhabenden, in gewisser Hinsicht sehr, sehr sorglosen Studien-Geisteswissenschaftler-Mensa für 3,50€, von anderen gehässig und von uns subversiv liebevoll „linksgrün-versifft“ genannten Freiburg-Blase. Wir halten unsere Grundwerte hoch, weil wir auf gewisse Weise privilegiert und stark genug sind, es zu tun. Die Sache mit den Grundwerten ist aber nicht das Entscheidende. Entgegen des hartnäckig haltenden Klischees erlebe ich auch 200 Kilometer weiter in meinem Heimatdorf auf der schwäbischen Alb, wie sich die Menschen mit ihren Grundwerten gegen Rechts stellen, vielleicht weniger explizit und diskursiv, wie wir es gemäß unseres Auftrags als diskussionsfreudige Geisteswissenschaftler in jeder dritten Kaffeepause tun, aber die Grundwerte sind dieselben. 

Ich glaube, und das ist meine zweite Erkenntnis, es geht um die Angst. Definitiv nicht bei besagten rechtsextremen Skinhead-Neonazis, aber bei dieser stillen, plötzlich auftauchenden Mehrheit der AfD-Stimmen. Die Angst als Motor von Populismus-Politik ist auch nicht unbedingt eine neue Entdeckung, aber sie hilft mir zumindest, die Entwicklung irgendwie zu verstehen (von nachvollziehen kann keine Rede sein!). Die AfD geht umher und sammelt alle Ängste ein, die die Menschen in ihrem Menschsein so haben: Armut, Bedrohung, der Angriff und die Beraubung ihrer Würde. Wieder im Sinne der Einfachheit muss jemand zum Feindbild werden, jemand, der in irgendeiner Weise nicht konform ist- zum Beispiel jemand mit einem anderen kulturellen bzw. nationalen Hintergrund. „Die sind ja auch gefährlich!“, tönt die Afd- und zack, hat die Angst einen Zuhörer. Und die Bestätigung, die sie braucht. 

An dieser Stelle komme ich zurück zu der Geschichte „Wie die Emetophobie mir ab und zu kurz das Leben versaut“. Mindestens 0,1 Prozent der Bevölkerung wissen Bescheid, wenn ich beschreibe, wie sehr dieses Biest einen im Griff haben kann. Abgesagte Familienfeiern wegen der Angst vor Infekten, tagelang kaum etwas essen und schlaflose Nächte bei Virusausbruch im Bekanntenkreis – und die Todesangst, wenn das Gefürchtete unvermeidbar wird. Seit Jahren und Jahrzehnten versuche ich, dem Übergeben zu umgehen, wo es nur geht. Und es war wirklich erst neulich, dass ich – mit vom Desinfektionsmittel brennenden Händen- da saß, und mich gefragt habe: wie kann es sein, dass mich die Angst vor einem nicht einmal Minuten andauernden Ereignis um Tage, Wochen und Jahre meines eigentlich schönen Lebens bringt? Die nächste Maßnahme war – da bin ich so Germanistik-Studentin, es geht nicht klischeehafter -, mir die ersten beiden Zeilen von Mascha Kalékos Gedicht Rezept groß aufzuschreiben und an meine Zimmerwand zu hängen:

Jag die Angst fort, und die Angst vor den Ängsten.

Bisher habe ich die Angst vor dem Übergeben fortgejagt, indem ich alles getan habe, es zu umgehen. Aber ich habe ein neues Ziel: ab jetzt geht es der Angst an den Kragen. Ich will nicht mehr verhindern, mich zu übergeben, ich will aufhören, mich davor so unglaublich zu fürchten. Weil es mein Leben so beeinträchtigt. 

Die Angst, die immer mehr Menschen in Deutschland vor dem Feindbild ‚Ausländer‘ hegen, ruiniert mehr als einzelne Leben – und die wären schon schlimm genug. Sie ruiniert eine Demokratie, die dafür da ist, Probleme gemeinsam zu bewältigen. Dass diese Probleme da sind, dass Deutschland derzeit an seine Grenzen damit kommt, allen Migrantinnen und Migranten ausreichend zu helfen, ist ein Umstand, der sich nicht ignorieren lässt. Dass einzelne Migrantinnen und Migranten unter dieser Situation zu Täterinnen und Täter werden, auch nicht. Aber es kann nicht sein, dass daraus die logische Schlussfolgerung hervorgeht, eine so generalisierte Angst zu entwickeln und, seitens der AfD und rechtsideologischer Bewegungen, zu befeuern. Es kann nicht sein, dass aus der irrationalen Angst, die irgendjemand mit ins Wahlbüro schleppt, die durchaus nachvollziehbare Angst von Tausenden wird, aufgrund ihrer Geschichte und ihrer Person abgelehnt zu werden. 

Angst per se ist ein menschliches Gefühl. Sie kann mächtig sein, ein echtes Monster. Und so laut, dass es mitunter schwierig ist, wegzuhören. Darum geht es auch nicht. Aber abgesehen von pathologischen, sehr monsterhaften Ängsten, wage ich zu sagen: es ist unsere Verantwortung, wie wir mit unserer Angst umgehen. Welche Schlüsse wir aus ihr ziehen. Was von ihrem irrationalen Gesäusel wir rational glauben, und was nicht. 

Der AfD glaube ich nichts. Weder, dass sie Probleme lösen kann, noch, dass das „generelle Problem“ von Migration und kultureller Vielfalt „gelöst“ gehört. Und um die zwei so unterschiedlichen Themen dieses Beitrags ganz konkret und stillos zusammenzufassen: 

Rechtsextremismus und die AfD sind zum Kotzen. 

Danke für eure Aufmerksamkeit.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.