‎Die Kassette, die jahrelang in der Werkstatt seines Großvaters mit Staub berieselt worden war, hing. Ich hätte es wohl kaum erkannt, weil die Abfolge der Töne, die sein iPod über das Kabel auf die Kassette im Autolaufwerk übertrug, ohnehin so verwirrend war, dass ich kein Muster dahinter erkennen konnte.

Vielleicht lag es an meinem müden Kopf, der an der Scheibe lehnte, nach diesem langen Tag, der in den frühen, noch nachtschwarzen Morgenstunden auf dem Highway endete.

Mit ihm.

Er drückte an der Kassette herum, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. „Funktionier jetzt, funktionier jetzt, funktionier jetzt“, aber alles was geschah, war dass das Laufwerk die Kassette auswarf und sich das Radio mit einem Popsong von Katy Perry und einem leichten Rauschen im Hintergrund einschaltete.

Er seufzte resigniert und schwieg eine Weile. Dann hielt er das nicht mehr aus. „Ich finde, Musik sollte keinen Text haben.“ sagte er. „Wenn jemand einen Text haben will, soll er ein Buch lesen.“

Ich sah ihn an, mit dem krampfhaften Versuch, meine Belustigung zu verbergen. „Nein, wirklich nicht. Das ist wie Film anschauen, bevor man das Buch gelesen hat.“ Er sah hilfesuchend nach rechts. „Da kannst du doch gar nichts mehr selber denken.“

„Vielleicht hast du recht. Eigentlich ist da eine Geschichte, und es liegt an dir, was du daraus machst. „Ja.“ sagte er. Er sah eine Weile gerade aus in das Dunkel.

Ich drehte die Kassette in meinen Händen, fühlte ihre raue Oberfläche unter meinen Fingerkuppen und steckte sie auf gut Glück zurück ins Laufwerk. Katy Perry wurde von einem Rauschen verschluckt und es ratterte, bis das Trommeln und Scheppern vom Track seines iPods plötzlich hörbar wurden und nach kurzer Zeit wieder einer gewisser Art Gleichmäßigkeit folgten.

Er sah mich erstaunt an. „Wie hast du das denn gemacht?“ „Keine Ahnung.“ sagte ich.

Eine Weile hörte er andächtig zu. Als ich schon fast befürchtete, er würde vor lauter Genuss noch die Augen schließen und unsere Heimfahrt blind fortsetzen, dreht er sich ruckartig zu mir und sagte: „Ich kann die Texte von Liedern nicht verstehen.“ Er spannte den Arm, mit dem er lenkte, an. Er fuhr sich mit der linken Hand durch seine Haare. Er schüttelte den Kopf. „Ich kann es einfach nicht. Immer ist die Musik lauter und ich muss auf die Töne hören. Und ich höre ihre Geschichte, die wohl eigentlich meine ist, und verpasse den ganzen Text.“ Er atmete auf, wie nach einem langen, anstrengenden Sprint. „Verstehst du das?“ Ich verstand es. Ich verstand ihn, ich verstand die textlosen Töne aus der Kassette und das Pfeifen des Keilriemens, das das baldige Ableben des alten Autos verkündete, und diese Nacht, die auf ein Mal so wundervoll sinnergebend war.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.