Eine kleine zis-Geschichte | Maitagung 2019

Kategorien Reiseatlas, Tagebuch

-prolog-

600 Euro, dreißig Tage, ein Reisender.

Das ist die zis-Stiftung für Studienreisen in sechs Worten zusammengefasst. Und es ist alles, was ich wusste, als ich zum ersten Mal vor den Mauern des Schlosses stand und mich zwang, ins Innere zu treten. Eine erste Überwindung, auf die noch viele folgen sollten. Ich glaube, den Schritt aus seiner Komfortzone zu wagen, ist etwas, das man immer wieder neu lernen muss. Man gewöhnt es sich viel zu schnell wieder ab.

Vor zwei Tagen stehe ich das zweite Mal vor dem Schloss, und kann kaum glauben, wie weit ich gekommen bin. Bei einer Entfernung von 46 Kilometern zwischen meinem Zuhause und dem Schloss Salem am Bodensee ist es eigentlich kein allzu großes Kunststück, zurückzukommen (auch wenn ich ohne Here we go, die App für die orientierungsfreien Sparfüchse, mal wieder an jedem zweiten roundabout lost gewesen wäre).

Aber um es kurz zu machen: es war holprig. Und es gab Umwege. Am Ende haben sie mich doch wieder hier her geführt.

Die Maitagung ist der Anfang und das Ende, die sanfte Start- und Landebahn eines Fluges, bei dem die Turbulenzen vorprogrammiert sind.

Bei der zis-Stiftung für Studienreisen bewirbt man sich mit einem selbst entworfenen Reisekonzept, das zu einem selbstgewählten Thema in ein selbstgewähltes Land führt. Ziemlich viel Selbstbestimmung – bis man bei der Bewerbung auf das Stipendium auf „Senden“ gedrückt hat. Dann ist es erst einmal der Jury der Stiftung überlassen, die Kandidaten für den neuen Jahrgang auszuwählen. Wer in seinem Interesse und seinem Engagement überzeugt, wird zur Maitagung auf Schloss Salem eingeladen. Hier stößt man auf die Mentoren und Mentorinnen, auf Gleichgesinnte und die abenteuerlichsten Geschichten der Letztgereisten – und auf einen Berg an Zweifeln. Kann ich diesen Anforderungen gerecht werden? Breche ich meine Reise nicht nach zwei Tagen ab, vor lauter Panik, alleine zu sein? Und was um himmelswillen ist dieses zis-Glück?

So war meine Maitagung 2018. Ich will für vier Wochen auf die Äolischen Inseln, hatte ich in meiner Bewerbung geschrieben, aber wollte ich das wirklich? Ganz ernsthaft und mit allen Konsequenzen? Es half mir, mich mit den anderen auszutauschen, Carolin, Sherin, Lena, Rebecca und all den anderen, die die Reise noch vor sich hatten. Dann saß ich bei der Feierstunde, in der die Reisenden des Jahres 2017 geehrt wurden, und spürte in mir drin, wie sehr ich das wollte, da vorne zu stehen und eine Reise geschafft zu haben, die GANZ ALLEINE MIR gehörte. Ehe ich mich versah, hatte ich die Startbahn geentert, den point of no return passiert – und war abgehoben.

Das war Teil 1 meiner Geschichte. Teil 2 ist auf diesem Blog in vier Beiträgen beschrieben, die sich auf einen einfachen Satz herunterbrechen lassen:

Die zis-Reise auf die Äolischen Inseln hat mein Leben verändert.

Teil 3 besteht darin, wieder vor dem Schloss zu stehen, exakt 364 Tage später, und zu spüren, wie der zis-Flug die Wolkengrenze passiert und es vor den Fenstern milchig wird. Landebahn, ich komme. Auch wenn ich eigentlich nicht will.

Wieder muss ich mich nur umdrehen, um auf Anhieb mit fünf Leuten zu sprechen, denen es gleich geht wie mir. Der zis-Jahrgang 2018 ist zu einem kleinen Teil im Schloss Salem versammelt, dieses Mal geht es darum, zurückzublicken und eigene Erfahrungen an die Neuen weiterzugeben. Es ist unglaublich, wie schnell wir ins Gespräch kommen, wie viele Parallelen wir zwischen Reisen nach Frankreich, Ungarn, England, die Faörer- und die Äolischen Inseln ziehen. In diesen zwei Tagen ist mir meine zis-Reise so präsent wie die letzten sieben Monate nicht. Plötzlich versteht mich jeder, allen geht es ähnlich, jede Reise ist einzigartig. Abends im Torkel singt der gesamte zis-Jahrgang 2018 und 2019 Wonderwall, wie damals auf Lipari die Straßenmusiker. Wie Wolken ziehen die Wochen im Süden an mir vorbei, jedes noch so kleine Detail sucht seinen Weg in mein Gedächtnis, und ich bin selig vor Erinnerung. Mit diesen Menschen, die aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands gekommen sind, könnte ich Wochen im Schloss ausharren, ohne dass es einen Moment langweilig werden würde. Jeder hier trägt seine eigene Geschichte in sich, sein Leuchten, würde meine zis-Freundin Sherin sagen, weil, jeder hier brennt für etwas.

Wofür ich nicht so ganz brenne, ist übrigens das Klavier üben. Dementsprechend… außergewöhnlich fällt mein Vorspiel zur Eröffnung der Feierstunde am Sonntag aus, das Lächeln kriege ich trotzdem nicht aus dem Gesicht. Alles ist so perfekt an diesem Tag, an dem ich mit meinem Jahrgang vorne stehe und die Urkunde entgegen nehme. Ich sehe mich wieder da sitzen, 18 Jahre alt, frisch aus dem Abi, entschlossen und doch so unsicher. Jetzt weiß ich es: ich würde nichts anders machen.

Ich werde unglaublich emotional, wenn ich an meine Reise denke, und an die Menschen, die ich durch sie und durch zis kennengelernt habe. Gestern sind wir wieder auseinandergegangen, aber irgendwie auch nicht. Es ist so schön, zu wissen, dass überall auf der Welt Menschen in den Himmel sehen, die durch zis verbunden sind, egal ob sie seit 2018 oder 1985 auf ihrer Reise sind. Denn einmal aufgebrochen, kommt man nie wieder richtig an.

Zu einer zis-Reisenden in Frankreich wurde letztes Jahr gesagt: die zis-Reise ist eigentlich eine Lebensreise. Du brennst für etwas, du öffnest dich dafür. Du gehst alleine, aber am Wegrand warten die Menschen auf dich. Du gelangst an Rückschläge, die dich am Ende nach vorne katapultieren. Du lässt dich ein, auf alles was kommt.

Allen, die jetzt mit zis reisen, wünsche ich genau das. Dass sie sich einlassen können, und eingelassen werden, an regnerischen Tagen auf der noch sonnenwarmen Straße, bis die Wolken vorbeigezogen sind.

Genießt es. Jede einzelne Sekunde davon.

-epilog-

Als ich im Oktober zurückgekehrt bin, als das zis-Flugzeug gestern unter tosendem Applaus die Landebahn berührt hat, war mein größter Preis und das Schönste, was ich mir hätte vorstellen können, immer noch meine Reise. Die letzten sieben Monate und halsbrecherische Abenteuer im Karibik-Paradies Panama konnten in keinster Weise schmälern, was ich für die zis-Reise und meine Inseln empfinde. Ich hätte deswegen nie erwartet, noch weiter belohnt zu werden. Aber dank meinen wunderbaren Inselmenschen und auch der großen Unterstützung von Zuhause aus – insbesondere von meiner Geographielehrerin, Danke, noch einmal – habe ich es geschafft, mit meinem Buchprojekt Sempre il vento – Leben auf den Äolischen Inseln den Marina-Ewald-Hauptpreis der zis-Stiftung zu erhalten. Für mich bedeutet das: Anerkennung für Dinge, die für mich und meine Abenteuerlust irgendwann selbstverständlich waren. Vor allem aber bedeutet es, dass mein zis-Flugzeug eigentlich gestern schon wieder abgehoben hat, denn der Preis ermöglicht mir eine zweite zis-Reise im Laufe des neuen Jahres. Zeitlich schaffe ich es dieses Jahr nicht, mir vier Wochen freizuschaufeln, deswegen werde ich erst in meinen Semesterferien im März 2020 aufbrechen. Bis dahin gibt es viel zu planen, und ich bin offen für Reiseinspirationen jeglicher Art. Fest steht: es geht weit weg, und es wird exotisch – in welcher Weise auch immer. Stay excited, ich freue mich, wenn ihr dabei seid!!

Eure Tabitha.

-danksagung-

Was wäre eine Geschichte mit Prolog und Epilog ohne eine dramatische, anrührende Danksagung? Also hey, ich wollte noch Danke sagen. An die, die das Wort zis schon nicht mehr hören können und trotzdem noch bis hier gelesen haben. Ganz bald höre ich auf damit…vielleicht. Danke an die zis-Stiftung für Studienreisen für…alles??? Denn neben der finanziellen Zuwendung von 600 Euro ist diese Stiftung noch Träume-Erfüller, Lebenskrisen-Retter und das real-Life-Facebook für Abenteurer. Danke insbesondere natürlich an meine Mentorin Regina, aber auch an Karsten, der mit seinem Fahrrad sämtliche Gebirge des Planeten überquert, um mehr jungen Leuten ein zis-Stipendium zu ermöglichen.

Ohne zis hätte ich nicht die tollsten Menschen überhaupt kennengelernt, Caro, Sherin, Rebecca, Rebecca, Lena, Manuel, Juliane, Franziska, Elisabeth, Noah, Ben, und und und… danke an alle von euch, dass ihr mich so inspiriert und mit eurer hochansteckenden Abenteuerlust besprüht.

Danke möchte ich aber auch dem neuen Jahrgang 2019 sagen, dass ihr eure Pläne mit mir geteilt habt und so viel Schwung in dieses Treffen gebracht habt. Ich kann es kaum erwarten, von euren Reisen zu hören, und wünsche euch alles, alles Gute dafür!

Machen wir´s kurz: danke an die ganze Welt, dafür, dass sie sich von uns bereisen lässt und auf uns wartet.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.