Die Welt spielt verrückt!

Kategorien Weltgeschehen

Zwei Dinge sind gerade gleichzeitig passiert.

1. zdfheute postet auf ein Instagram ein Bild von der Eröffnung der Empfangshalle auf der Berliner Museumsinsel mit Angela Merkel.

2. Clueso singt aus meinem Handy: Bin ich es selber oder spielt die Welt verrückt?

Mehr aus Zufall klicke ich auf die Kommentare, die unter dem zdfheute-Post veröffentlicht wurden. Der erste Kommentar lautet: Der Zitteraal ist auch dabei. Der nächste: Jetzt bloß nicht die Nationalhymne spielen…

Eins kann ich dem guten Clueso versichern: das ist ganz eindeutig und unverwechselbar die Welt, die gerade verrückt spielt.

Um meine Gedanken ausnahmsweise mal kurz zu fassen: in welcher Welt leben wir eigentlich?

Ganz unabhängig davon wer welche politische Meinung vertritt und wo jeder einzelne sein Kreuz bei einer potentiellen nächsten Bundestagswahl setzen würde, ist meiner Meinung nach von jedem Menschen auf dieser Welt zu erwarten, dass er auch nur ein Quäntchen Menschlichkeit besitzt.

Diese Menschlichkeit umfasst den bedingungslosen Respekt eines jeden Menschens – und dessen Privatsphäre. Würde von uns jemand freiwillig seine Arztberichte in die Kameras Deutschland halten? Oder vor potentiellen 80 Millionen Zuhörern vom Schwinden der eigenen Kräfte berichten? Von kaum zu bändigender Verzweiflung, verursacht durch Kontrollverlust über den eigenen Körper? Ich verstehe nicht, wie bei manchen der Eindruck entsteht, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland hätten sie automatisch ein Anrecht darauf, über den Gesundheitszustand der Kanzlerin in Kenntnis gesetzt zu werden.


Noch viel weniger kann ich begreifen, mit welchen Mitteln versucht wird, diesen in Erfahrung zu bringen. Wie oft finden wir uns selbst in Situationen wieder, in denen wir nichts mehr wollen als uns abzuschirmen von den stechenden Augen um uns herum. Und weil sich kein Loch im Boden auftut, bleibt uns nur, uns selbst den Mut zuzusprechen, den es braucht. Wie würden wir uns fühlen, wenn uns dieser letzte Rettungsring genommen wird, weil eine Lippenleserin jedes der Zwiegespräche zwischen uns und unserer rasenden Angst aufnimmt und für alle anderen deutlich hörbar und schwarz auf weiß lesbar wiedergibt?

Was in der Debatte um Angela Merkels Gesundheitszustand gerade geschieht, hat für mich absolut nichts mehr mit Menschlichkeit zu tun. Ich sehe viel mehr scheinheilige Argumente von wegen, man wolle ihr doch nur helfen ( als ob Frau Merkel nach 14 Jahre Amtszeit als Bundeskanzlerin nicht selbst ihr Leben in der Hand hätte), während in Wirklichkeit nur noch Eingriffe in ihre Privatsphäre stattfinden.

Genug Menschen sind einfach nur betroffen und besorgt, und dagegen gibt es absolut nichts einzuwenden. Ich verfolge die Debatte nun schon einige Tage und unzählige Kommentare, die ich gelesen habe, gingen in die Richtung: „Ich bin zwar kein Fan von ihrer Politik, aber das hat niemand verdient. Ich hoffe es geht ihr besser.“ Genau das ist meiner Ansicht nach die Menschlichkeit die wir brauchen, die Aufrichtigkeit und die Stärke, einen Mensch in seiner Vielschichtigkeit zu sehen und seine Ansichten und Handlungen von seinem unantastbaren Wert als menschliches Wesen zu trennen.

Umso geschockter war ich also von diesen Kommentaren. Noch nie hätte ich so gerne etwas kommentiert, wie unter diesem Bild. Ich würde den beiden Usern so gerne sagen, wie pietätslos und unangebracht ich ihre Worte empfinde. Warum ich es lasse? Weil es nichts nützen würde.

Die Kommentare unter dem Instagram-Post von zdfheute sind nur ein Bruchteil von dem, was heutzutage in den sozialen Netzwerken passiert. Worte wie diese prasseln Tag für Tag auf Menschen des öffentlichen Lebens ein, einfach weil die Kommentatoren es können. Weil keine Konsequenzen auf sie warten. Wie viele würden ihren Mund auch während einer analogen Veranstaltung mit Polizei aufmachen und Angela Merkel über alle Köpfe hinweg lautstark als „Zitteraal“ bezeichnen?

Man kann von Influencern halten was man will, aber diesen Trend, dass Menschen in der Anonymität des Internets jegliche Grenzen von Respekt, Rücksicht und Menschlichkeit überschreiten, sehe ich extrem kritisch. Kann mir jemand sagen: waren die Menschen immer schon so? So gehässig und unbedacht? Haben sie nur jetzt, mit Instagram und Co, das Sprachrohr gefunden, das ihre Vorgänger nicht besaßen?

Und die wichtigste Frage von allen: Bin ich es selber, oder spielt die Welt verrückt?

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.