Au revoir | Tod meines Großvaters

Kategorien Gedanken

Hallo ihr,

Dieser Text ist schon fertig, aber ich bin jetzt fünf Minuten vor dem Laptop gesessen und habe überlegt, wie ich ihn nennen soll. Ich konnte bei bestem Willen keine Worte dafür finden. Dieser Titel passt nicht wirklich, aber das Lied, das so heißt, höre ich gerade rauf und runter. Ihr findet es am Ende dieses Textes als Youtube-Link.

Ich habe mich lange nicht blicken lassen, die geplanten Berlin-Posts haben noch nicht ein Wort, und auch sonst schaffe ich einen Bruchteil von dem, was ich mir gerade vorgenommen habe.

Aber in Wirklichkeit habe ich gerade keine andere Wahl, als alles zu geben, ich leiste mehr als das ganze restliche Jahr, und ich muss kämpfen, jetzt gerade zum Beispiel mit den Tränen. In 2 Monaten werde ich siebzehn, und ich habe meinen ersten Verlust erlebt. Es ist ein Verlust, den jeder Mensch irgendwann in seinem Leben hat. Ich kann froh sein, dass es bei mir 16 Jahre und 10 Monate gedauert hat. Aber froh sein ist schwierig, wenn man eigentlich nur traurig ist.

Wenn jemand stirbt ist es seltsam. Es ist ein Tag, sowie gestern ein Tag war, aber es ist ein anderer Tag. Die Sonne geht auf und die Vögel kreisen, aber es ist ein Tag ohne eine bestimmte Person, die still und leise weggegangen ist, und es macht uns Angst, wenn wir nicht wissen, wo sie ist. Ich dachte immer die wichtigen Dinge im Leben enden ruckartig. Ich dachte es müsste laut sein, gleißend hell, viel zu intensiv und so schmerzhaft, dass man schreien muss. Ich habe geglaubt, dass wenn die wichtigen Dinge passieren, alle davon wissen, ich dachte man würde es uns ansehen. Doch die Wahrheit ist, dass die wichtigsten Dinge die stillsten sind. Es ist die Leere, die sich breit macht, keine Fülle an Emotionen. Wenn es geschieht, dann meistens still und auf irgendeine Art ganz selbstverständlich. Man erwartet, dass der Himmel sich grün färbt und die Vögel die Richtung wechseln, süß muss sauer schmecken, denn es ist schließlich nichts mehr wie zuvor. Das muss es sein, das schlimme an der Vergänglichkeit: sie ist unausgewogen. Wenn eine Sache in deinem Leben vergänglich geworden ist und weggeht, heißt das nicht, dass sich auch alles andere ändert. Du lebst dein Leben weiter und dir bleiben Menschen, die versuchen werden dir alles zugeben, was du durch das Schicksal verloren hast.

Aber du musst ihn immer und immer wieder gehen, den Weg der Gewohnheit, nur dass die eine Sache fehlt.

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Stell dir vor, du bist in einer Kunstgalerie, an deren Wänden ein einziges Bild fehlt, eine Lücke zwischen den anderen. Du könntest alle Kunstwerke betrachten, doch du bist dazu verdammt, immerzu an dieser einen Stelle vorbeizulaufen, die leer und weiß ist.

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Deine Galerie des Lebens ist nicht mehr komplett, und auch wenn es Menschen gibt, die das anders sehen: du darfst dir nichts vormachen. Diese Stelle wird immer weiß bleiben. Was bleibt ist ein kleiner, dunkler Nagel, der hässlich aus dem Weiß hervorsticht. Daran ist das Bild gehangen, und das wird dich für immer an den Verlust erinnern, den du erlitten hast.

Die Fülle ausgetauscht durch Leere, ein Nagel an der Wand, den niemand herausziehen will, und der nie wieder ein Bild an seinem Platz halten wird.

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Weil das Leben im Wandel ist, wird deine Galerie nie die selbe bleiben. Manche deiner Bilder fallen mit einem Krachen hinunter, aber die, die dir die Liebsten sind, werden meist stillschweigend abgenommen. Vielleicht ist der, der das Bild kaufen wollte, schon Wochen vorher interessiert darum herumgeschlichen. Vielleicht hast du ihn für einen Besucher gehalten, der nach einiger Zeit wieder gehen und nicht wiederkommen würde. Oder vielleicht wusstest du auch von seinem Plan, und konntest nichts dagegen tun.

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Ich weiß, dass neue Bilder kommen, an denen ich gerne vorbei laufe. Ich weiß, dass ich eines Tages nicht mehr auf die weiße Stelle starren muss, dass ich aufwache und meine Welt sich nicht mehr unkomplett anfühlt. Mein Leben geht weiter. Ein anderes nicht. Still und leise ist das Bild verschwunden. Seit ich den Interessenten zum ersten Mal in meiner Galerie entdeckt habe, war es ein Wettlauf gegen die Zeit, einen Kampf den wir nur verlieren konnten.

Ich vermisse dich. Du warst ein Kunstwerk, und das ist längst nicht alles. So viele Menschen werden sich immer an dich erinnern. Wenn ich in den Spiegel sehe, sind meine Augen immer noch grün-braun, wie deine. Das trage ich bei mir, das wird nicht vergehen. Du hast mir Worte gesagt, die jetzt zurück in meinem Kopf sind, Momente die bleiben.

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Du hast mir ein Geschenk gemacht, das sich jedes Kind gewünscht hat: ein Haus. Dank dir fühlte ich mich als Besitzerin eines eigenen Hauses, über ein Jahrzehnt vor meiner Volljährigkeit. Ich verdanke dir die glücklichsten Mittage meiner Kindheit, und ich hoffe das ist dir klar. Ich hoffe konntest, als du gegangen bist, an die schönen Dinge denken, an die Liebe die du bekommen und überall verstreut hast. Aber ich glaube, du weißt, was da erreicht hast. Ich muss dir nichts erzählen.Ich hoffe so sehr, in diesem Moment warst du glücklich mit deinem Leben.

Denn das wünschen wir uns am Ende doch alle.

ZEIT

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.