40 Tage Fastenzeit – ein nüchterner Rückblick

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„Ein Spezi?“ Der junge Mann hinter der Bar sieht mich mit einer Mischung aus Mitleid, Neugier und Belustigung an. Ich nicke tapfer. „Ja bitte.“ Um mich herum tobt die Party, der Bass wummert in meinen Ohren und die Getränke in den Gläsern blitzen auf im bunten Licht. Und ich stehe hier, halte den Flaschenhals des Spezis umklammert und weiß nicht ganz wohin mit mir. Ich fühle mich, als hätte ich minus drei Promille! Wie kann das denn funktionieren? Das ist er wohl, das Gefühl des puren Verzichtes auf etwas, das man zuvor nie als notwendig angesehen hätte.

40 Tage Fastenzeit- für viele Menschen ein Anstoß, etwas in ihrem Denken und Tun zu ändern, etwas zu verbessern das sie schon lange schleifen lassen. Obwohl die Fastenzeit ursprünglich aus dem vierzigtägigen Aufenthalt Jesu in der Wüste der Versuchungen hervorgeht, sehen heute auch viele nicht streng christlichen Menschen die Fastenzeit als eine Herausforderung gegen sich selbst an. An seine Grenzen gehen- dies kann in vielen verschiedenen Weisen verstanden werden. Verzichten kann man auf nahezu alles. Handy oder zumindest soziale Netzwerke, Süßigkeiten, Alkohol. Und selbst wenn es dabei nicht um den essentiellen Bestandteil unseres täglichen Lebens und damit um das klassische Verzichten auf (feste) Nahrung geht, kann das Fasten zu einer Belastungsprobe werden. Besonders wer die Sonntage als erlaubte Unterbrechung nutzt, hat an den folgenden Tagen umso mehr mit der Versuchung zu kämpfen, noch eine klitzekleine Ausnahme zu machen.

Bereits als kleines Mädchen habe ich Jahr für Jahr versucht, mich zwischen Aschermittwoch und Ostern im Fasten zu üben. Gestartet bin ich meistens mit etwas überhöhten Ansprüchen, jedoch auch mit großem Ehrgeiz, meine Ziele umzusetzen: 40 Tage ohne Fernseher, gepaart mit 40 Tagen ohne Schokolade, Eis und Gummibärchen. In Anbetracht dessen dass das tägliche Fernsehschauen abends damals noch ein fester Bestandteil meines Alltags war eine große Herausforderung – an der ich ausnahmslos gescheitert bin. Es war eher eine Ausnahme, wenn ich nicht abends Sandmännchen, Little Amadeus oder Jim Knopf angesehen habe. Jedoch saß ich die meiste Zeit mit höchst schlechtem Gewissen vor dem Fernseher, das ich mit Argumenten wie Aber das ist die letzte Folge von Jim Knopf für mindestens vier Wochen zu bezwingen versuchte. Ein großer Faktor war auch die Schule am Tag darauf, in der häufig über die Fernsehsendungen des vergangenen Abends diskutiert wurde. In einer Schulklasse von sechs Personen war es nicht sehr verwunderlich, dass ich die Einzige mit dem irrsinnigen Plan war, vierzig Tage auf Fernsehen zu verzichten. So beugte ich mich häufig dem nicht einmal bewusst hergestellten Gruppenzwang und machte damit genau das, was man beim Fasten zu verhindern versucht.

Auch was das Fasten von Süßigkeiten angeht, ist die Versuchung häufig groß. Nach ein paar Tagen, in denen man sich voller Motivation seine Apfelschnitze schneidet, sobald man einen Anflug von Appetit verspürt, fällt es schwer, die neuen Sitten beizubehalten. Der Prozess von dem Moment in dem man etwas neu beginnt bis zu dem Punkt, an dem das Gute zur Gewohnheit geworden ist, ist hart und oft kaum durchhaltbar, zumindest nicht wenn man noch jung ist.

Umso überraschender war es für mich selbst, dass ich selbst in Zeiten, in denen ich WhatsApp bereits auf dem Handy installiert hatte, noch eine handyfreie Fastenzeit geschafft habe. Da das Vodafone-Klapphandy mit SMS- und Infrarotfunktion, dass ich bis zur sechsten Klasse hatte, keinen nennenswerten Suchtfaktor besaß, konnte ich das Leben ohne Handy erst in der sechsten und der siebten Klasse testen. Beides Mal hielt ich bis auf wenige Ausnahmen durch.

Dagegen hat das Fasten von Süßigkeiten bei mir nie auch nur ansatzweise funktioniert, sodass ich es im letzten Jahr vollends aufgegeben habe. Dennoch wollte ich das Fasten beibehalten, und habe mir für dieses Jahr eine neue Herausforderung gestellt:

40 Tage ohne Alkohol.

Mein Trinkverhalten ist vielleicht sinnvoll, um nachzuvollziehen, wie es mir in der Fastenzeit ergangen ist. Ich bin 17 Jahre alt, meinen ersten Schluck Alkohol trank ich im Alter von 14 Jahren, er bestand aus einem Schluck Sekt und das wars auch. Bis zu meinem 16. Lebensjahr kam ich nie auch nur auf den Gedanken, mir auf einem Fest / einer Party ein eigenes Glas Sekt/Hugo geschweigedenn Hartalkohol zu kaufen, beziehungsweise von einer älteren Person kaufen zu lassen. Damit, das muss ich dazu sagen, war ich verhältnismäßig sehr spät dran. Gleichaltrige Freunde haben zu diesem Zeitpunkt schon mehr getrunken, was ich keinesfalls kritisieren will, ganz im Gegenteil. Ich glaube während sie bereits in dem Prozess steckten, ihre eigenen Grenzen kennenzulernen und sich darin übten, den Schlusspunkt zu erkennen und fortan nichts mehr zu trinken, war ich zu ängstlich, um damit überhaupt zu beginnen. Ich stand dem Alkohol sehr kritisch gegenüber, aber vor allem auch mir selbst und meiner Fähigkeit, die Kontrolle zu bewahren. Kurz gesagt: ich vertraute mir nicht. Das änderte sich zwischen meinem 16. und meinem 17. Lebensjahr, zwar schrittweise aber doch nachhaltig. Seitdem ich 16einhalb bin kaufe ich mir definitiv auch eigene Getränke, ich trinke auch mehr als ein Glas und spüre die Wirkung des Alkohols, jedoch bisher stets nur im positiven Sinne. Ich war noch nie so betrunken, dass ich Gedächtnislücken hatte oder mich übergeben musste. Auch wenn manche sagen dass ich es könnte, ich möchte damit nicht angeben!

In einem Satz zusammengefasst: Ich trinke gerne Alkohol, er schmeckt mir und ich genieße definitiv auch seine entspannende Wirkung, habe es damit aber bisher noch nie übertrieben.

Meine Gründe kann ich selbst kaum erklären. Ich wollte fasten – ja. Sowohl aus religiösen als auch persönlichen Gründen, ich wollte sehen inwiefern ich das aushalten kann, nicht das zu machen was alle anderen machen, unabhängig ob sie etwas Gutes oder Schlechtes machen. In einer Zeit in der wir uns alle selber kennenlernen ist es vermutlich ganz gut zu erfahren, wie abhängig man von dem bösen, unsichtbaren Geist des Gruppenzwangs wirklich ist. Alkohol ist im Kontext mit Gruppenzwang ungefähr das Naheliegenste, da sich das alltägliches Leben von mir und meinem Freundeskreis hauptsächlich aus Schule und sozialem Leben in Verbindung mit Feiern zusammensetzt, und ich auf das Lernen für die Schule – so gern ich es auch getan hätte – wohl doch nicht ganz hätte verzichten können.

Die Herausforderung startete sehr einfach, da in den ersten Wochen nach der Fasnet sowieso keine Fester stattfanden, auf die ich hätte gehen können. Folglich erfuhr auch keiner von meinem Vorhaben, was mir nur recht war. So kam es erst zu einer ersten Konfrontation, als ich mit zwei Freundinnen in eine Diskothek in unserer Nähe (oder einfach: Trödler) ging. Diese beiden Freundinnen haben mein Fastenziel ohne Weiteres akzeptiert. Es kam keine provozierende Frage oder sonst was, sie entschuldigten sich dagegen sogar, weil sie mir vor mir Alkohol tranken.

Damit, dass andere getrunken haben, hatte ich die ganze Fastenzeit über überhaupt kein Problem. Wieso sollte ich es ihnen nicht gönnen, nur weil ich für mich selbst diesen Entschluss gefasst habe?

Im Trödler selbst gestaltete sich die Situation schon als schwieriger, da wir auf weitere Freunde von uns trafen, denen auffiel, dass ich als Einzige keinen Becher in der Hand hielt. Da ich noch nicht 18 bin, wäre das Argument ich sei Fahrer irgendwie aufgefallen. Eigentlich zeigt es auch von Inkonsequenz, das Fasten zu verheimlichen. Trotzdem hätte mir ehrlich gesagt auch das Selbstbewusstsein gefehlt, lauthals: „Ich faste!“ zu schreien. So fielen meine Erklärungen meist eher leise und knapp aus. Ich sagte zwar, dass ich faste, fing jedoch nicht an, meine Gründe zu erläutern.

Der Abend in der Diskothek war ein Extrembeispiel, während dem ich mich wirklich durchgehend unwohl gefühlt habe. Dies hat sich auf den weiteren Festern definitiv entschärft, zumal mit jedem Fest auch mehr Leute einfach wussten, ok die trinkt jetzt vierzig Tage nix.

Gelernt habe ich: Akzeptanz und Verständnis sind zwei Begriffe, die teils sehr weit auseinander liegen können, dabei aber dennoch den selben Zweck erfüllen.

Ich brauchte von niemand die Verständnis, wieso ich das mache. Ich wollte auch niemanden dazu überreden. Alles was ich wollte, war akzeptiert zu werden, und bis auf sehr sehr wenige Fälle ist das auch passiert. Und auch bei den Freunden von mir, die den Kopf geschüttelt, mir den Vogel gezeigt und ein „Fanta“ angedreht haben, das ich nach einmaligem Riechen als mit Alkohol präpariertes Gemisch erkannt habe (schade schade) weiß ich, dass sie es im Grunde genommen akzeptiert haben. Diese Provokationen konnte ich erstaunlich gut aushalten, ich konnte auch darüber lachen und ging nach keinem dieser Fester unzufrieden und schlecht gelaunt ins Bett.

Eine problemlose Fastenzeit also? Ja und nein. Erstens: ja, ich habe es geschafft, ich bin jeder Versuchung standgeblieben und waren sie noch so groß. Und das waren sie. Und einmal, das kann ich sagen, hatte ich die Bierflasche von einem Kumpel auch schon in der Hand. BIER, das zeigt ja schon den Grad meiner Verzweiflung. Er hat es mir aber weggerissen, mit der Begründung so stillos sollte ich das Ganze jetzt aber nicht zerstören – womit er Recht hatte! Auf der einen Seite habe ich mein Ziel also absolut erfüllt: ich bin dem Gruppenzwang gegenüber resistent geblieben, dem Wunsch gegenüber, einen eher langweiligen Abend zu versüßen und auch den Überredungskünsten mancher meiner Freunde. Alles Gelächter habe ich über mich ergehen lassen und gekonnt ignoriert.

Jetzt könnte ich also hier stehen und mich freuen über die tolle, gefestigte Persönlichkeit mit dem eisernen Willen den ich doch habe.

Aber wenn ich zurückdenke an diese Zeit, habe ich auch sehr sehr viele Zweifel.

Zweifel daran, ob ich damit wirklich meine Beziehung zu Gott gestärkt zu haben, denn ich habe es ja in erster Linie für mich getan.

Zweifel daran, welchen Eindruck ich hinterlassen habe bei Freunden, die ich selten sehe, und die mich vielleicht jetzt für eine absolute Moralapostel halten.

Das war das Allerletzte das ich wollte: eine Moralapostel sein. Belehrend wirken. Anderen mit meiner bloßen Anwesenheit ein schlechtes Gewissen zu machen.

Ich hoffe sehr, dass keiner von ihnen den Eindruck hatte, ich würde mich jetzt für etwas Besseres halten. Das tue ich nicht!

Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte zum ersten Tag der Fastenzeit, würde ich es glaube ich wieder machen. Wenn ich aber die Zeit vordrehen könnte zur Fastenzeit 2018, würde ich es nicht mehr tun. (Sehr schlau nebenbei bemerkt, in dem Zeitraum in dem ich kein Abi schreibe nüchtern zu bleiben, und ein Jahr später, kurz vor dem Abitur, auf den Kater und das unnötige Absterben wertvoller Gehirnzellen zu pfeifen) .

Nach all meinen Erfahrungen zum Thema „Verzichten auf Alkohol“ kann ich folgende Tipps formulieren:

  • Überzeugung: Wer von dem, was er tut, überzeugt ist, ist resistent gegenüber jeglichen Sprüchen, Provokationen, Überredungsversuchen und Verlockungen. Ich merke das auch jetzt beim Verfassen meiner Seminararbeit. Wenn ich mein Thema nicht so wahnsinnig interessant finden würde, ich hätte längst die Motivation verloren, nur weil ich dadurch kein mündliches Abi mehr machen muss.
  • Selbstbewusstsein: Ziel hierbei ist, sich nicht besser zu fühlen als alle anderen um einen rum, aber gleich gut. Man muss sich einfach sagen, dass der Inhalt der Becher gerade nichts darüber aussagt, wer wie tollcoolsonstwas ist. Man ist ein gleichwertiger Teil der Gruppe, egal ob man heute trinkt oder nicht!
  • Stimmung: Es ist nun mal ein Fakt, dass es mit Alkohol leichter sein kann, zur Musik zu tanzen und sich zu unterhalten, auch mit Leuten die man nicht kennt. Aber das schafft man auch ohne! Natürlich macht es absolut keinen Sinn, sich so aufzuführen dass die Leute glaubten man wäre angetrunken. Jeder hat Augen im Kopf und sieht, dass man überhaupt kein Getränk in der Hand hält. Deswegen habe ich versucht, einfach immer normal rüberzukommen, gut gelaunt und fröhlich. Denn wenn man mit skeptischem Gesicht und verschränkten Armen dasteht und nur gelangweilt wartet, bis die Nacht zu Ende ist, denken sich die Freunde verständlicher Weise: Wieso ist sie denn überhaupt mitgekommen, wenn sie ohne Alkohol sowieso überhaupt keine Lust hat?
  • Vorfreude: Nämlich darauf, dass es irgendwann auch wieder vorbei ist. An Ostern fühlt man sich wirklich stolz, das geschafft zu haben, man weiß, man hat sich selber gut im Griff und ist nicht so abhängig von bestimmten Dingen, wie man vielleicht vorher geglaubt hat. Und nach der Fastenzeit ist die Vorfreude auf das erste Fest umso größer, ich kann es jedenfalls kaum erwarten, wieder richtig wegzugehen!

Zum Schluss möchte ich noch etwas sagen, das vor allem an die Leute geht, die wahrscheinlich schon nach der Hälfte dieses Textes entnervt das Fenster geschlossen haben. Denn zurecht werden sich jetzt einige Menschen denken: sie stellt das dar, als wäre ein Feiern ohne Alkohol gar nicht mehr möglich, als wäre das so dramatisch. Als könnte man nur mit Alkohol ein „richtiges „Fest feiern! Oder aber sie denken sich: Sie tut, als wäre es so eine krasse Leistung, 40 Tage nichts zu trinken. Das ist ja ein Witz. Beide Kritikpunkte sind je nach Standpunkt und eigener Geschichte nachvollziehbar. Daher möchte ich an diesem Punkt erläutern, dass ich während dieses ganzen Textes von mir ausgehe. In meinem Leben ist das Feiern mit Alkohol nun mal ein Bestandteil, wir sind damit aufgewachsen und in meinem Umfeld begegnet mir das Phänomen Alkohol beim Feiern nun mal häufig. Daher ist es für mich tatsächlich eine Herausforderung, mich dagegenzustellen. Ich hoffe hierbei auf Verständnis!

Fazit: Es war gut zu erfahren, wie viel ich aushalte, wiederholen muss ich es in den nächsten Jahren nicht. 2018 könnte ich mich ja dann mal an das Thema „Fasten auf soziale Medien“ heranwagen, das wäre nämlich auch dringend nötig. Und drei Mal dürft ihr raten auf was ich 2019 definitiv Fasten werde: richtig, aufs Lernen. So viel steht fest 🙂

 

 

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.