Man kann die Zeit nicht aufhalten,
aber für die Liebe bleibt sie manchmal stehen.
Pearl S. Buck
Zeitsprung zurück
Heute Morgen bin ich aufgewacht, nach einer viel zu kurzen Nacht in der ich die meiste Zeit wach lag und meine großen, lauten Kopfhörer den Lärm der Welt für mich verschluckten und mir nur das gaben, was ich hören wollte.
Ich glaubte erst, ich träume, als ich aus dem Fenster sah, wo Schnee vom Himmel fiel und unsere Wiese und die Dächer der Nachbarhäuser und die ersten Blumen im Garten bedeckte. Dann musste ich noch einmal eingeschlafen sein, doch als ich aufwachte war der Schnee noch immer da. Unglaublich, und das im April, dachte ich und schaffte es schließlich, aufzustehen und mich an den Schreibtisch zu setzen.
Da sitze ich jetzt also und sollte im Rahmen meiner Seminararbeit irgendwas über hämatopoetische Wachstumsfaktoren schreiben. Was sie anrichten im menschlichen Blut und wozu sie Stammzellspender benötigen. Draußen schneit es immer noch wie verrückt, es scheint nie mehr aufzuhören und die Flocken sind so dick wie ich es den ganzen Winter über nicht gesehen habe. Und von einem Moment auf den anderen habe ich das Gefühl ich werde zurück katapultiert in die Zeit, in der es wirklich noch Winter war, die Zeit in der wir uns über Schnee nicht grenzenlos gewundert sondern größtenteils gefreut haben. Das ist noch gar nicht lange her, gerade mal 3 Monate, und trotzdem haut es mich komplett raus aus meiner Konzentration.
Als wäre jetzt einfach irgendein Tag Anfang Januar. Mit meiner Seminararbeit müsste ich mich dann noch nicht groß beschäftigen, dafür mit der Amerikanischen Revolution, weil ich darüber nach den Weihnachtsferien eine Klausur schreibe. In dieser Klausur hast du 13 Punkte geschrieben, aber dass du grade Abraham Lincoln zeichnest könntest du dir sparen, das hat dir eine Woche später nämlich wirklich rein gar nichts gebracht. Was gerade noch vor mir liegen würde: der erste Showtanzwettbewerb des Jahres, bei dem wir keinen Platz machen werden, es wird aber trotzdem so ein schöner Abend. Und neben mir liegt, im Januar wie heute, mein Handy, das sich immer noch neu anfühlt, im Januar aber wirklich noch war.
Als ob sich nichts geändert hätte. Wie viel soll schon passieren in drei Monaten?
Sehr viel, wird mir klar wenn ich jetzt aus dem Fenster sehe und der Schnee sich auf den Dächern sammel. Es waren sicher keine großen Dinge. Ich bin genauso noch in der elften Klasse, verstehe immer noch kein Mathe und bin weder berühmt noch reich. Ich bin nicht mal weit weggekommen in der Zeit, habe kaum neue Kleidungsstücke und meine Haare sind nicht viel gewachsen. Bis auf wenige Ausnahmen stehen in meinem Handy die gleichen Namen in WhatsApp ganz oben wie im Januar und ich werde dieses Wochenende mit den selben Menschen ausgehen wie am Anfang des Jahres.
Wieso also fühlt sich alles trotzdem so anders an? Denn das tut es. Scheißegal dass es draußen schneit, ich den selben Pullover und die selbe Wimperntusche wie im Januar trage und Spotify das selbe Lied spielt und ich mich wieder mit der Schule herumschlage, es fühlt sich anders an. Es ist diese Art Zeitsprung, die nicht von Dauer sein kann, die dir nur zeigt, was du nicht mehr haben kannst. Ich kann mich nicht mehr so fühlen wie damals, hab nicht mehr vor den selben Dingen Angst. Ich bekomme Sehnsucht nach dieser Zeit, den Gerüchen, den Melodien, den Stimmen, das alles ist zum Greifen nahe und trotzdem geht es nicht. Zu viel habe ich erlebt in dieser Zeit, ohne es überhaupt zu merken habe ich mich geändert, verändert, entfernt von meinem damaligen Ich, obwohl ich es wirklich gerne mag.
Aus, vorbei, wir können nicht zurück, wenn wir nicht mal das rückgängig machen können, was wir vor einer Minute zu jemandem gesagt haben, wie soll das dann gehen, dass plötzlich wieder alles so ist wie vor drei Monaten, nur weil das Wetter sich dieser Zeit wieder anpasst?
Zeitsprung vergeblich. Es war aber schön, ihn zu haben. Wenn man mich jetzt fragen würde, ob ich irgendetwas in den letzten drei Monaten bereue, ob ich alles wieder so gemacht hätte, was würde ich antworten? Ganz ehrlich: ich habe vieles falsch gemacht, was sich jetzt in den Konsequenzen rächt. Viele viele Fehler, die nicht hätten sein müssen, und das weiß ich jetzt. Aber auch Fehler, bei denen ich denke: ich würde es wieder tun. Aber ich glaube, wir würden immer etwas ändern, wenn wir es könnten. Und weil wir es nicht können, müssen wir auch nicht darüber nachdenken. Das ist auf jeden Fall etwas, in dem ich meinem Januar-Ich voraus bin: die Erkenntnis, das zu viel denken definitiv schlecht sein kann und eine Menge zerstören kann. Wir sollten viel mehr einfach leben und machen lassen. Liebes Januar-Ich, kapier das und du wirst dir so manches einfacher machen!
Zeitsprung nach vorne
Zurück in der Gegenwart, an einem verschneiten 18. April 2017 spielt mein Laptop Hall of Fame und ich scheitere gerade dabei, nicht so viel nachzudenken. Meine Gedanken kreisen bereits wieder. In 20 Jahren wird Hall of Fame ein Oldie sein, den sie mit Absicht im Radio spielen, falls es da noch Radios gibt, und sie werden von den Erfolgen reden die diese Band hatte, bevor sie sich aufgelöst oder zerstritten hatte, oder bevor der Frontsänger bei einem schlimmen Autounfall gestorben ist. In 20 Jahren sind es immer noch die selben Zeilen, Be believers, be leaders, be astronauts, be champions, die uns zum Lächeln bringen und an damals erinnern. Damals im Bus und ohne Führerschein, verknotete Ohrstöpsel bei denen nur noch einer funktionierte. Zurückdenken an die Leute, mit denen man dieses Lied totgehört hatte, leise mitgesungen oder laut. Cause you´re born with the brightest flame, und wo sind diese Leute heute? Hoffentlich noch immer genau da, wo sie hingehören, hoffentlich stehen sie hinter einem und summen leise mit und sagen, verdammt wie ging der Text nochmal?
Irgendwann wird Hall of Fame ein Lied sein, dass an heute erinnert, an diese perfekte, perfekte Zeit, die eigentlich nie enden dürfte.
And we´ll
be standing
on the walls
of the hall of fame.
Gegenwart
Hall of Fame ist zu Ende, Spotify wechselt zu irgendeinem anderen Lied und draußen leuchten die Wolken, weil die Sonne direkt hinter ihnen steht. Es hat aufgehört zu schneien. Es ist weder Januar 2017 noch April 2037.
Es ist einfach jetzt. Ich mache die Augen auf und poste diesen Blogpost, der eigentlich absolut wirr und undefiniert ist, nur in der Hoffnung, dass sich darin vielleicht ja jemand wiedererkennt.
Und dann schließe ich WordPress, weil da noch jede Menge zu tun ist wenn ich in drei Monaten auf einen produktiven 18. April 2018 zurückblicken will .