Was es heißt, jugendlich zu sein.

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SUN ON TV

Es sind die Hormone. Nein, es ist das Wetter. Oder noch besser: die Mondzeiten. Denn irgendwas muss doch Schuld sein, an diesem Auf und Ab der Gefühle, dass mich wahnsinnig macht. Und das bin nicht nur ich, beruhigender Weise denn: so geht es uns allen.

Ganz kurz vor ab: die Dinge, die ich in diesem Text anspreche sind natürlich nicht hundertprozentig genau so gemein. Seht es als Übung für die nächste Textinterpretation: wie viele Hyperbeln findet ihr? 🙂

Gerade noch sitze ich auf meinem Fahrrad, hinter den Feldern geht die Sonne unter und ich bin nach zwei intensiven Stunden Training fertig mit der Welt. Trotzdem nehme ich die Hände vom Lenker, und in dem kurzen, flüchtigen Moment in dem ich freihändig fahre flüstere ich mir selber zu, dass ich ein gutes Leben habe. Ich bin glücklich- zufrieden nach der körperlichen Betätigung, froh um meine Freunde und aufgeregt auf die vielen Pläne in der Zukunft. Alles liegt vor mir, alles ist um mich herum, ich bin gesund, es gibt keinen Grund mich zu beschweren. Keinen.

Und dann. Da kommt eine, winzig kleine Sache, und die Welt ist auf den Kopf gestellt. Manchmal sind es auch größere Sachen, aber die lächerlichsten sind oft die Schlimmsten. Aus dem Lächeln wird ein Gesicht, das man macht, wenn man sich das Heulen verkneift, weil andere Leute im Raum sind. Ich finde es gibt überhaupt nichts Schlimmeres als das Bedürfnis zu heulen, wenn es die Anwesenheit anderer nicht zulässt. Ich stelle mir dann immer sehr fantasievoll vor, wie ich zuhause filmreich auf mein Bett falle und dem Weinkrampf endlich nachgebe – was mich dazu bringt gleich noch ein paar mehr Tränen zu produzieren. Wie oft ist mir das passiert in den Jahren seit ich auf unerklärliche Weise den Zustand der sorglosen Kindheit verlassen habe? Oft.

Weil Jugendlich sein eben nicht nur schön ist. Weil wir zwar Pläne haben, und Action und zahllose Möglichkeiten, aber auch verdammt viel Druck. Seit der fünften Klasse wurden wir gewarnt, vor dem bösen bösen Gruppenzwang, der uns dazu bringt, Zigaretten zu rauchen, zu viel Alkohol zu trinken oder eine gefährliche Mutprobe zu versuchen. Ich habe mir das dann immer vorgestellt wie ein großer Kreis um mich herum, der nach und nach enger wird, mit riesigen Personen die auf mich einreden, ich bin die Kleinste und gebe schließlich nach. Dieses Szenario wollte ich natürlich nicht erleben, also habe ich folgsam gelernt, wie man „Nein!“ sagt ( meine Eltern würden sagen: Ich habe das Wort nahezu ausgenutzt, aber hey im Haushalt gibt es auch Gruppenzwang!) und wie man sich so schnell aus unangenehmen Situationen befreit. Doch im Laufe der Zeit kommt man dahinter, dass diese Form von Gruppenzwang nicht das Hauptproblem ist, im Gegenteil, denn erstens kam sie in meinem Leben bisher praktisch überhaupt nicht vor und zweitens ist das Problem gelöst, sobald man den Kreis praktisch verlassen hat.

Ganz anders verhält es sich mit dem unsichtbaren Druck, der leider Gottes meistens aus uns selbst herauskommt, beeinflusst durch das was um uns herum passiert. Von ihm haben wir nie etwas gelernt in den Stunden mit den Sozialarbeitern. Jeder kennt ihn, aber vermutlich weiß einfach keiner wie man ihn ausschalten kann.

Wann habe ich eigentlich angefangen, jeden und alles mit mir zu vergleichen? Stundenlanges Scrollen durch Instagram, Profile auf denen ich die Mädchen bewundert habe, ihre langen Haare, die coolen ( garantiert extrem teuren) Jeans und die Kameraqualität- alles. Dann wieder diese ewigen Gedankengänge, wieso habe ich keinen Freund, ist das normal, sollte ich meine Haare wachsen lassen oder schneiden, was ist out, was muss ich tun damit ich so aussehe wie alt ich bin… Versucht mal, mich bei so etwas zu stoppen. Ich schaffe es selbst nicht. Wir geben Geld aus für Dinge, die wir kaufen, um mitzuhalten, sei es im Bereich von Technik, Klamotten und Alkohol. Was bleibt, nach einem langen Schultag, einer in Instagram verbrachten Stunde oder einem Tag erfolglosen Shoppings, ist ein ungutes Gefühl und Unsicherheit.

Diese ist, abgesehen von diesen eher oberflächlichen und aufs Aussehen fixierten Beispielen, auch sonst überall dabei . „Sicher“, das heißt in erster Linie geschützt vor Wetter, Krieg und Gewalt, aber ich glaube sicher bedeutet auch, sich durch nichts durcheinander bringen zu lassen. Einen Panzer zu haben, an dem Beleidigungen, Kritik oder auch nur harmlose Dinge abprallen können.

Stattdessen sind wir so oft unsicher. Die kleinsten Dinge werfen uns aus der Bahn.

Wir erfahren, dass wir für eine Person nicht das sind, was wir glaubten. Ein Zuletzt-Online, das alles zerstört, und trotzdem schauen wir ständig darauf, obwohl wir es eigentlich gar nicht wissen wollen.

Sind wir eigentlich wahnsinnig, dass wir unsere Stimmung, unsere Einstellung und unseren kompletten Alltag manchmal abhängig machen von einer einzigen Person?

Das ist…nicht cool. Definitiv nicht cool.

Dann ist da noch die – kann ich wirklich sagen Beziehung?- zwischen uns und den Lehrern. Darüber könnte man eigentlich einen eigenen Text oder, noch besser, einen Roman schreiben. Mit mindestens 300 Seiten. Es gibt solche und solche Lehrer, und natürlich auch solche und solche Schüler, aber im Grunde genommen ist es immer das Selbe und ich hab dann jetzt ehrlich gesagt auch genug von den Erfahrungen. Lehrer, die ihre Autorität genießen und mit uns spielen („Ich weiß du zitterst auf die gute mündliche Note, die deine Zeugnisnote beeinflusst, es ist so schön dich in der Luft zappeln zu sehen“ – wortwörtlich), Entmutigungen der ganz besonderen Art ( „In der Kursstufe wirst du untergehen, stell dir vor du bist ein toter Fisch ,der immer weiter sink, blub blub blub…“- ebenfalls wortwörtlich), Lehrer die vor der versammelten, mucksmäuschenstillen Klasse beleidigend werden. Wir sollten es so sehen, es ist nur Schule, und wir werden unser ganzes Leben lang mit Leuten konfrontiert, mit denen wir nicht klar kommen. Aber gerade in dem Alter, in dem man sich zum ersten Mal selber kennenlernt, anfängt eigene Werte zu vertreten und Entscheidungen zu treffen, kommt einem die Schule vor wie ein Käfig. Wieso muss mir ein Lehrer vor der ganzen Klasse sagen, dass er meine mündliche Leistung unzureichend findet? Bin ich nicht mit meinen 16 Jahren auf einem Gymnasium im Stande, dies selbst einzuschätzen? Wieso sollen wir Selbstverantwortung lernen, wenn uns ständig gesagt wird, wie wir es zu machen haben? Ich will mich selbst bestimmen, und die Schule fühlt sich an wie ein Klotz, der diesem Wunsch im Wege steht.

Und weil es sich beim Thema „Jugendliche“ einfach nicht verhindern lässt: Eltern. Eltern sind alles: Glück, Klotz, Pusher, Motivation, Verbote, Schranke, Startbahn,…und und und. Und das ändert sich manchmal von Sekunde zu Sekunde. Es ist so demotivierend, wenn man in allem was man sagt und tut nicht ernst genommen wird, weil die eigenen Eltern einen unterschätzen.

Und kennt ihr das, wenn Eltern die Schule für irgend so einen verdammten Freizeitpark halten? Als würden wir da nur rumhängen, uns unter Palmen die Kante geben und danach erst einmal eine Runde schlafen?

„Halt“ sagte meine Mutter an dieser Stelle, als ich ihr den Text zum Korrrektur lesen gab ( weil ich nicht einfach irgendetwas über meine Eltern ins Netz stellen wollte, das sie möglicherweise nicht wollen). „Ich habe nie gesagt dass die Schule ein Freizeitpark ist!“ Damit hat sie recht. Ich glaube, sie lassen uns das eher unterbewusst spüren. Sie können vielleicht nicht mehr wissen, dass man als Schüler Tage hat, an denen man das Gefühl hat zu platzen vor lauter Stress und Druck, Tage, an denen man nach Hause kommt und am liebsten weinen möchte, weil man sich nur noch bewertet und beurteilt fühlt, Tage, an denen man nach zehn Stunden Unterricht nur noch lesen und Musik hören will. Aber nein, kein Problem, natürlich sind wir nach der Mathearbeit, der Physikstunde und der Doppelstunde Sport noch bereit, den Hausgang zu saugen. Und das Wohnzimmer. Und den Dachboden. Und wenn man schon mal dabei ist, kann man ja auch noch alle Wände neu streichen.

Eltern übertreiben auch gerne mal ein bisschen. Wieso machen sie aus einer offen gelassenen Türe etwas so Dramatisches? Wieso denken sie manchmal, dass wir später mal kein eigenes Leben führen können, weil wir unsere Klamotten nicht so ordentlich zusammenlegen?

Ich hab die Butter draußen stehen lassen, also ist mir meine Familie egal, und ich hätte auch nichts dagegen wenn sie plötzlich nicht mehr da wären?! (Weil ein Raumschiff gekommen ist und die Aliens gesagt haben sie nehmen nur Leute mit, die den Butter nicht in der Sonne vergessen) Hallo?! Wie kommt man auf so was? Wenn ich dann aber sage: „Ich hab die verdammte Butter draußen stehen lassen weil ich zu faul war um sie herein zu holen“ heißt es, genau das sei der Punkt, ich sei einfach zu schade, um mich für das Familienleben einzusetzen. Ich würde praktisch alle tyrannisieren und nerven

Dass diese, nennen wir sie mal hormonelle Schwankungen, ganz eventuell eine klitzekleine Nebenwirkung der bekannter maßen in diesem Alter öfters mal vorkommenden Pubertät sein könnten, wird leider oft gar nicht in Betracht gezogen.

Wir sind einen Tag schlecht gelaunt, weil ich Pickel habe und Mathe lernen muss? Für unsere Eltern ein sicheres Zeichen dafür, dass ich wegen meiner „negativen Grundeinstellung und Respektlosigkeit“ niemals Freunde finden werde, geschweige denn einen Ehemann, und mir vermutlich später Tag für Tag mit meinem kompletten Umfeld Schießduelle leisten werde, weil ich ja einfach nicht lernen kann, „wie man mit Menschen umgeht“.

Aber im Gegensatz zu den ( meisten) Lehrern sind bei Eltern diese schlechten Zeiten auch sehr schnell wieder vergessen. Meine Eltern sind trotz allem immer noch meine Eltern, die Menschen, die ich am aller- allermeisten liebe, die Menschen, die alles aufgegeben haben, um mir zu ermöglichen zu leben.

Man darf nie vergessen, wie viel sie für einen tun. Vielleicht sollte mir das einfach öfter klar sein. Bestes Beispiel:

Würde mein Vater mich wirklich zum Vodafoncenter schicken, wenn er sich nicht wünschen würde, dass seine Tochter mal ein glückliches und selbstständiges Leben führen kann? (Wobei ich leider immer noch keine positiven Auswirkungen des Vodafonecenter-Besuchs in meinem Leben feststellen kann…)

Eigentlich wollen sie doch wirklich nur das Beste für uns, genau wie wir für sie ein Zusammenleben ohne Stress und Streit.

Denn letztendlich sind Eltern doch auch nur Menschen, ganz besondere sogar, denn sie schenkten uns, der handysüchtigen respektlosen und tyrannisierenden Generation einst das Leben, und schon alleine dafür müssen wir ihnen dankbar sein!

Dann wäre da noch die Liebe, dieses elende, nie endende Etwas, das sich früher oder später in unser Leben gesellt, ob wir es denn wollen oder nicht. Ich kann sagen: ich wollte es nicht. Tija, Pech gehabt. Wenn ich jetzt sage, die Liebe macht vor niemandem Halt, ist das dann schon wieder zu romantisch? Das entspricht nämlich oft nicht der Realität .Es scheitert bei der ignorierten Freundschaftsanfrage, zwei grässlich blauen Haken und einem geöffneten Dreieckchen ( ihr wisst was ich meine). Und – um mal kurz aus der Online-Welt aufzutauchen- bei den falschen Worten zur richtigen Zeit. Lass uns Freunde bleiben oder aber – fast noch schlimmer- du bist wie eine Schwester für mich! Kerstin Gier akka Gwendolyn Sheperd hat das in Smaragdgrün auch ganz gut auf den Punkt gebracht: „Bestimmt stirbt jedes Mal irgendwo auf der Welt eine gute Fee, wenn jemand diesen Satz sagt.“ Liebe, Freunde, Dazwischen-Leute…Menschen können ja so unglaublich anstrengend sein. Ständig verschieben sich irgendwelche Konstellationen, alles wird anders. Zu den ätzendsten Dingen meiner Jugend gehört der Abschied meines damaligen besten Freundes in der achten Klasse, weil er wegziehen musste. Natürlich können wir in Zeiten von Whatsapp und Co noch Kontakt haben, aber wird es jemals wieder das Selbe werden wie damals, in Spanisch, als wir uns gegenseitig mit Papier beworfen haben? Nein. Werde ich mit manchen Menschen, mit denen ich im Streit auseinander gegangen bin jemals wieder reden? Eher nicht. Wieso muss sich immer alles ändern, das ist doch ätzend… I miss the good old days.

Das ist Jugendlich sein. Sich abhängig machen. Unsicher sein .Lachen und Weinen binnen Sekunden. Der alltägliche Kampf mit Schule, die Mühe die nötige Balance aufzubringen nicht alles hinzuschmeißen und das tägliche Motto: Lächle- du kannst sie nicht alle töten.

Deswegen habe ich diesen Text geschrieben, ich wollte klarstellen dass man noch so tolle Pläne haben kann, oder den perfekten Freundeskreis, oder supertolle Schulnoten, aber es ist immer kompliziert. Und niemand kann sagen, wie glücklich die Besitzerun des ach so tollen Instagramprofils wirklich ist. Sun always shines on TV, hat schon A-HA perfekt formuliert.

Das ist unser Leben- Chaos, Liebe, die nur noch weh tut und von Erwachsenen nicht ernstgenommen wird, Freundschaften die zerbrechen, der unsichtbare Druck, gegen den noch kein Schulsozialarbeiter etwas ausrichten konnte, und über all dem 3 Worte, die diesen ganzen jammrigen Text entschuldigen sollen:

first world
Und ja, wir wissen dass es genau das ist. Weshalb wir jetzt auch wieder aufhören und die schönen Seiten des Lebens sehen. Denn tief in uns drin ist es uns allen klar: wir haben es verdammt gut, und bevor wir nach dem Lesen dieses Textes irgendetwas anderes tun, fangen wir an, das wieder mehr zu schätzen.

Damit wäre doch schon einiges erreicht.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.