Ich sitze in der Schule. Es ist ein Tag wie jeder andere. Und doch sind sie gezählt. Alle fragen sich: was mache ich, wenn in 117 Tagen die Schule für immer zu Ende ist? Und wenn wir es selbst nicht tun, machen es andere für uns. „Und was willst du nach der Schule machen?“ So störend und verunsichernd diese Frage auf uns wirkt, wenn sie von außen kommt, ist sie nicht, wenn wir sie uns gegenseitig stellen. Das ist aus irgendeinem Grund in Ordnung. Ich sitze an jenem Tag mit einer Klassenkameradin in der Schule und wir sind in ein Gespräch über unsere Zukunft vertieft. Ich fühle mich verstanden. Weil sie sagt: „Doch, ich verstehe dich. Ja, ich verstehe dass du nicht Journalistin werden willst. Dass du das Schreiben NICHT zu deinem Beruf machen sondern viel lieber Geschichte studieren willst.“ Und ich sage zu ihr: „Ich hätte nie gedacht dass es eine akademische Ausbildung zum Bibliothekar gibt, aber ich finde es cool, dass du das in Erwägung ziehst.“ Und dann sitzen wir da und wissen, was die Außenwelt an dieser Stelle sagen würde: Und was macht ihr später damit?
Der Druck von außen erscheint so bedrohlich, als würde er jeden Moment gegen die Fensterscheiben poltern. Dunkle Wolken ziehen auf, wenn ich an meine Zukunft denke, so darf das nicht sein, denke ich, aber es ist zwecklos: uns beiden fehlt an diesem Mittag in der Schule die Gewissheit, dass wir eine Bestimmung haben, dass es irgendetwas gibt, das exakt auf uns zugeschnitten ist. Unbegrenzte Möglichkeiten zu haben bedeutet auch, den Druck zu haben, das genau Richtige für sich auszuwählen. Weil man dem großzügigen Angebot gegenüber ja nicht unhöflich sein möchte. Ich wüsste nur gerne, was dieses Richtige denn bitte ist. Ich fühle mich immer wieder perspektivslos, und in diesem Moment glaube ich, das sei das Schlimmste, was einem passieren kann.
Im Jahr 1963 erhält der junge Engländer Stephen Hawking in einem kleinen, kahlen Krankenzimmer die Diagnose ALS. Die unheilbare Nervenkrankheit wird ihm erst die Kontrolle über seine Gliedmaßen, später die Stimme und die Atmung rauben. Ein durchschnittlicher ALS-Patient lebt nach seiner Diagnose noch etwa drei bis fünf Jahre. Hawking lebt 50. Am 14.03.2018 stirbt er – 55 Jahre nach der Diagnose. Hawkings hinterlässt Kinder, Bewunderer und mehrere weltweit unter Wissenschaftlern anerkannte Forschungsthesen und Theorien der Astronomie und Physik. Er hat Bücher geschrieben, die Geschichten für Filme geliefert – Menschen inspiriert. Einmal hat er gesagt:
However difficult life may seem, there is always something you can do, and succeed at.
Der Mann, dem mitten in seiner akademischen Karriere, zwischen brillanten Ideen und großartigen Plänen gesagt wird, dass er in etwa 5 Jahren entweder tot im Grab oder bestenfalls taubstumm und gelähmt im Bett liegen würde, spricht davon, dass es immer etwas gibt, das man kann, etwas, in dem man Erfolg haben wird. Er weiß wovon er spricht, denn er hatte Erfolg. Das hätte er niemals geschafft, wenn er nach der Diagnose kapituliert hätte, wozu er doch eigentlich allen Grund hatte. Er sah die Hoffnung im Hoffnungslosen. Mit einer unglaublichen Zuversicht ging er die Dinge an, die im Argen lagen. Die eigene Stimme ist aufgrund eines Luftröhrenschnitts unbrauchbar – Stephen Hawking konstruiert eine Art Sprechmaschine mit Roboterstimme. Die Hand zittert zu sehr, um an der Promotion zu arbeiten – Hawking diktiert, jemand anderes schreibt.
Er hatte das Gegenteil von dem, was uns ausbremst: nämlich scheinbar keine Möglichkeiten.
Und wir sitzen hier und beschweren uns, weil wir so viele haben.
Er hat sie sich einfach gemacht. Wie oft er in seinem Leben wohl den Satz Das kann nicht funktionieren! gehört hat?
Er sagt es ja: es kann funktionieren, alles, weil es immer etwas gibt, in dem wir gut sind. Wenn Stephen Hawking 45 Jahre länger gelebt hat als die Statistik es zu Beginn voraussagte, wenn er in dieser Zeit sämtliche Erwartungen in verschiedenen Beweisen übertroffen und die Wissenschaft mit seinen Erkenntnissen teilweise revolutioniert hatte, dann werden wir es wohl schaffen, unsere Zukunft in die Hand zu nehmen.
Ob du nichts hast oder alles – wichtig ist was du wirst. Stephen Hawking wurde jemand, der glücklich war, und Menschen glücklich gemacht hat, mit Inspirationen wie diesen.
Mehr kann man sich wohl gar nicht wünschen, und wenn ich das nächste Mal in der Schule sitze, lächele ich ihn an – den Sturm der Zukunft, der um die Fensterscheiben pfeift.