Die erste Johannes-Regen-Geschichte: Regentropfen

 

mach die Augen zu und tanz, nimm meine Hand, hab ganz vergessen wie es ist, wenn der Regen mit uns tanzt

– Joris

Wir saßen im Regen. Weiß der Himmel wieso wir uns immer unbedingt dann treffen mussten, wenn es am meisten schüttete. Johannes kümmerte das viele Wasser nicht, er sah nur zufrieden auf die Regenrinne, die er nach ewig langem Mühen vollständig repariert hatte. „Kein Tropfen lässt sie durch, weißt du-“ Aber er wurde unterbrochen von einem gewaltigen Donner, „..wie ich das gemacht habe?“ vervollständigte er unglücklich, als der Donner vorrüber war. „Keine Ahnung.“ sagte ich und starrte geradeaus. Von dem Sommer, den er mir versprochen hatte, war weit und breit nichts zu sehen. „Erzähl mir, was passiert ist, als ich weg war. Erzähl von deinem Leben.“ sagte er und lehnte sich vorsichtig an den Holzschuppen. Höchstwahrscheinlich war jetzt, da die Regenrinne repariert war, der Schuppen an dem sie hing sein nächstes Projekt. Johannes war immer auf der Suche nach Dingen, die er besser machen konnte, als sie zu dem Zeitpunkt in dem er sie fand, waren. Unser riesengroßer Hof war sowas wie sein Paradies. Es war ihm wirklich schwer gefallen, ihn zu verlassen, für einen ganzen Monat in der italienischen Hauptstadt. Mein Leben?“ fragte ich. Wie sollte ich etwas erzählen, wenn mein Kopf leergefegt war, von den Stürmen, die seit Tagen in meinem Himmel tobten? Wo sollte ich anfangen, und wo durfte ich aufhören? „Mein Leben ist ein einziges Chaos.“

Und wieso sagst du das?“ Wieso ich das sagte? Manchmal war mein Leben ein einziges Chaos, wie ein Gewitter, von dem man nie sagen konnte wann es angefangen hat und ab wann man es für beendet erklären durfte. Denn immer wenn der Regen nachließ und die Tropfen trockneten auf meiner nackten Haut, zuckte ein Blitz am Himmel und der Donner sagte mir, dass es nicht vorbei war. Dabei musste ein Gewitter grundsätzlich nichts Schlechtes bedeuten. Ich liebte Gewitter, so lange ich im Haus war, im Warmen, Trockenen, und die Regentropfen auf das Dach trommeln hörte. La pluie tombe sur la chambre douze. Ich machte die Augen zu und fing an zu träumen, von den Tagen voller Sonnenschein. Ich wartete. Ich wartete schon so lange darauf, dass das Gewitter vorbei zog, und ich wieder raus durfte, in das Leben, auf die schönste Welt, die man sich vorstellen konnte. Wenn es aber so laut donnert, dass es auch der Regen auf dem Dach von Zimmer 12 nicht übertönen kann, dann wird in England eine Abgeordnete erschossen oder in Deutschland eine junge Syrerin, da teilt sich in irgendeinem Körper auf der Welt eine Zelle auf die falsche Weise, und in Kambodscha verhungert stillschweigend ein kleines Kind.

Johannes schien eingesehen zu haben dass ich schon wieder viel zu sehr in meiner Gedankenwelt versunken war, um ihm Antworten zu geben. Er begann, sich wieder der Regenrinne zu widmen, bis er plötzlich sagte: „Eigentlich wird das Gewitter dieser Welt ja nie verschwinden. Es wird nur weiterziehen, von uns zu jemand anderem. Der Himmel ist blau, aber nie überall gleichzeitig. Das Wetter versucht mit aller Kraft, das Gleichgewicht zu wahren, zwischen Wolken und Sonne, zwischen Regen und Trockenheit. Wir brauchen beides, um von den Früchten der Natur leben zu können.“ Ich sah zu ihm. Die Haut seines Gesichts war geglättet und sattbraun von der italienischen Sonne. Seine Augen waren auf irgendeinen Punkt in der Ferne gerichtet und ich fragte mich, wie es sein konnte,dass er gerade meine Gedanken gelesen hatte, ohne mich überhaupt angesehen zu haben.

Aber was, wenn es so nass wird um uns herum, dass wir es nicht mehr trocknen können?“ fragte ich. „Was ist, wenn alle anderen ins Sonnige rennen, weil sie Angst vor dem Nassen haben?“ Dann musst du dir eben Leute suchen, die realistisch denken.“ Johannes grinste mich an. „Es ist noch kein Mensch im Regen ertrunken.“ Damit stand er auf, so ruckartig dass die Gummistiefel auf dem Rasen quietschten, und er verließ den schützenden Dachvorsprung des Schuppens. Seine gelbe Regenjacke leuchtete im nassen Grün, während er mitten auf der Wiese stand und der Regen auf ihn fiel.

Ich schloss für einen Moment die Augen und öffnete sie wieder. Er war immer noch da. Die Gewissheit, dass da draußen jemand war, der bei mir blieb, egal wie gefährlich die Blitze werden würden, war wie eine warme, dichte Regenjacke, die sich über meine Schultern legte. Kommst du auch?“ fragte Johannes. Da stand ich auf und ging zu ihm.

Binnen 2 Minuten war mir etwas klar geworden.Ich konnte so viele Stürme haben wie es nötig war, so lange ich keinen Größeren davon alleine durchqueren musste. Kleine Regenschauer stärkten mich, große Gewitter rissen mich um.

Die Kühe, die Schafe, und mein Vater, der im Traktor verdrossen seine Feldrunden drehte, alle schienen uns anzustarren, wie wir da im Regen waren und auf unsere ganz eigene Melodie tanzten. Ich spürte, wie ich am Leben war. Und das war der Punkt in meinem Leben, in dem ich den Schirm zur Seite warf und begann, im Regen zu tanzen, so lange, bis ich auf einmal wieder die Sonne sah.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.