Die Leidenschaft des Schreibens

Kategorien Tagebuch

„Wenn du schreibst, ist das Boot mit den normalen Leuten sowieso längst ohne dich abgefahren.“

5:45, der Wecker klingelt, und ich habe nur einen Wunsch: dass es Wochenende  ist, und ich einfach weiter schlafen kann. Wer kennt das nicht?

Allerdings liegt dieses Phänomän bei mir nicht daran, dass ich mich am Abend zuvor bis in die Puppen auf Partys, in WhatsApp oder in Youtube herumgetrieben habe, nein, ich konnte nur schlichtweg wieder nicht aufhören, zu schreiben. Weil die Idee da unbedingt noch festgehalten werden musste, oder dieser eine Einfall in meinem Kopf herumgespukt und mich nicht einschlafen lassen hatte.

So geht das jeden Abend. Und wenn ich nicht schreibe, dann lese ich. Meistens so ungefähr drei Bücher gleichzeitig, und die stapeln sich dann auch alle in meinem Bett. Meine Freunde finden es unerklärlich, wie ich so schlafen kann, aber für mich gibt es praktisch nichts gemütlicheres, als umringt von Büchern da zu liegen. Ein Handgriff und ich habe sie alle sofort bereit. Was gibt es denn besseres?

Nach dem Aufstehen setzt bei mir der übliche Stress ein, den wohl jeder kennt. Unter die Dusche, Haare föhnen, Wimpern tuschen, Frühstücken, und am besten noch ein bisschen ins Französischbuch schauen. Dabei wollte ich am Mittag davor wirklich lernen, nur, als ich das Buch aus dem Rucksack gefischt habe, fiel gleichzeitig auch mein rot-weiß-gepunktetes Tagebuch heraus, und da stand diese eine Geschichte, die noch nicht ganz fertig war… und deswegen musste ich das Lernen eben auf heute verschieben.

Im Bus geht es mir gleich wie zig anderen Schülern, ich bekomme keinen Sitzplatz und muss stehen. Weil Busfahren und dabei sentimentale Lieder hören mich immer ziemlich inspirieren, habe ich es mit der Zeit geschafft, zu lernen, mich mit einer Hand festzuhalten, und mit der anderen Hand mein Handy zu betreuen. Wattpad ist das beste Programm auf dem Smartphone für mich, aber manchmal muss auch Google Docs herhalten. In diesen zwei Apps befinden sich ungefähr zehntausend angefangene und längst vernachlässigte Ideen, und welche ich an welchem Morgen weiter ausbaue, hängt ganz von meiner Stimmung ab.

Vermutlich muss es ziemlich komisch aussehen, wie ich dann da immer so stehe, aufs Handy einhacke und abwechselnd himmelhochjauchzend-glücklich und todtraurig bin. Jedenfalls bekomme ich immer mal wieder ein paar seltsame Seitenblicke, die allerdings meistens an mir abprallen, weil ich sie gar nicht bemerke. Ich bin leider nicht besonders multi-tasking-fähig. Schreiben und gleichzeitig im schwankenden Bus nicht herum zu fallen erfordert schon meine vollste Konzentration.

Hält der Bus dann endlich an der Schule, sind alle um mich herumstehenden Schüler überglücklich, ich dagegen eher enttäuscht. Auch wenn es noch nicht bewiesen ist, ich bin mir ganz sicher dass es es gibt, das Phänomän, dass einem die besten Einfälle immer dann kommen, wenn man nicht mehr weiter schreiben kann. Und so stehe ich regelmäßig, völlig in Panik, bis zur letzten Sekunde vor dem Öffnen der Bustüren wie versteinert da und versuche verbissen, noch alle Ideen aus mir rauszukriegen. Ansonsten hätte ich sie bis Schulschluss längst wieder vergessen, denn mein Gedächtnis ist nicht so das tollste.

Leider gilt an unserer Schule seit neuestem ein striktes Handyverbot, was meiner schriftstellerischen Karriere nicht wirklich entgegen kommt. An keinem Ort in meiner Welt bewegen sich so viele inspirierende Menschen auf einmal, wie in dieser Schule. Ich kann, zumindest was die Älteren angeht, behaupten, dass mich jeder Zweite von ihnen schon einmal auf irgendeine Idee gebracht hat, manche bewusst, die meisten unbewusst. Deswegen muss sich eigentlich auch niemand wundern, wenn ich in ihrer Anwesenheit plötzlich ein diabolisches Grinsen aufsetze, oder in einen nicht enden wollenden Lachanfall ausbreche. Aber natürlich wundert sich trotzdem jeder, weil ja niemand weiß, was ich in meinem Kopf gerade für Sätze zusammenspinne. Gott sei Dank weiß es niemand , sonst hätte man mir vermutlich längst das Denken verboten.

Nachdem sämtliche inspirierende Menschen in der Schule eingetrudelt sind und der nicht ganz so inspirierende Gong den Beginn der ersten Stunde ankündet, versuche ich ersteinmal, zehn Minuten Französischtest zu überstehen. Ich kann weder die Vokabeln, noch habe ich die Kunst, die innere Stimme in meinem Kopf auszuschalten, die irgendwann aufgetaucht ist, und mich seit dem pausenlos nervt. Netter Weise wandelt  sie phasenweise alle meine Gedanken in perfekt ausformulierte Prosa-Sätze um. Nur leider hat sie noch nicht herausgefunden, wie sie diese Sätze irgendwie festhalten kann. Sie machen einfach plopp, und ich werde fast wahnsinnig bei der Tatsache, dass sie für immer verloren sind.

Meine Französischlehrerin deutet die Panik in meinem Gesicht leider völlig falsch, und geht davon aus, dass ich die Vokabeln nicht gelernt habe (was der Fall ist) und deswegen so schockiert schaue (was nicht der Fall ist).

Kaum sitzen nach dem Test alle wieder auf ihren normalen Plätzen, beginnt das System in mir zu arbeiten. Kann ich oder kann ich nicht? Trau ich mich oder trau ich mich nicht? In manchen Fächern schreibe ich prinzipiell nicht, weil ich schon weiß, dass das die betreffenden Lehrer nicht besonders  mögen. Was ich auch wirklich verstehe, ich meine, wenn ich Lehrer wäre, und eine meiner Schülerin würde auf ihrem Stuhl sitzen und wie wild auf ihrem Tagebuch rumzukritzeln, statt meinen Vorträgen zu folgen, ich glaube ich wäre richtig sauer.

Ich kann den Lehrern ja aber schlecht sagen, dass ich nicht schreibe, weil mich ihre Unterrichtsthemen nicht interessieren, sondern weil sie mich eher inspirieren. Die würden mich doch für verrückt erklären.

Beäugt werde ich in meiner Klasse höchstens ab und zu von den Jungs, die einfach nicht fassen können, wie man denn bitte schön freiwillig zu Stift und Papier greifen kann, und manchmal lesen sie auch im Tagebuch, aber weil ich grundsätzlich nicht mit echten Namen schreibe, bringt es ihnen nicht viel.

Die Mittagspause ist ein perfekter Zeitpunkt, um die Atmosphäre fest zu halten, so viel habe ich in fast fünf Jahren Gymnasium herausgefunden. Wenn all die Menschen, die dich Tag für Tag zum Schreiben zwingen (indirekt natürlich, die meisten wissen wahrscheinlich nicht mal, dass es mich gibt), um dich herum sitzen, Mittag essen und sich gegenseitig mit Spagetti bewerfen, dann sprudelt es nur so aus dir heraus mit den Ideen. Was in dem Moment meine Beweggründe sind? Weiß ich gar nicht. Vielleicht die Vorstellung, dass ich in achzig Jahren mal in meinem Lehnstuhl sitzen werde, mein Tagebuch in den Händen, und mich daran erinnere, wie es damals war, in jener Dienstag-Mittagspause in der neunten Klasse. Vielleicht will ich das irgendwie festhalten. Aber ich weiß es nicht.

Der zweitbeste Ort zum Schreiben ist der Bus nach Hause. Wieder sentimentale Musik, wieder inspirierende Leute. Und die vorbeiziehende Landschaft natürlich. Die ist nicht zu unterschätzen.

Zuhause fängt das Elend dann von vorne an, ich sollte lernen, Hausaufgaben machen und Klavier üben, aber stattdessen scheint das neue Kerstin Gier-Buch mich förmlich anzuschreien, und das Tagebuch schaut mich mit seinen nicht vorhandenen Augen vorwurfsvoll an. Schreib endlich soll das heißen.

Ich muss schreiben, Tag für Tag. Es geht gar nicht anders.

Und das finden viele Menschen so komisch.

Der schlimmste Moment ist mit Abstand der, in dem du schreibst, und sich jemand über dich beugt und fragt: „Was schreibst du da?“  Ja ähm, was schreib ich da? Könnte ich das jemals in einem Satz zusammenfassen? Eher nicht. Zu kompliziert. Und vor allem zu peinlich. Vor allem jüngere Kinder sagen dann Dinge wie „Wie kannst du nur?“ oder „Hä und wozu  machst du das?“ Und das bringt niemand wirklich weiter.

Wattpad hat den Vorteil, dass es vom Design her locker auch als E-book-reader durchgehen könnte. Diese Ausrede bringe ich manchmal, wenn ich gerade ähm…editiere.

Spätestens wenn ich wieder vergesse, dass meine Geschichte inoffiziell das Ebook eines bekannten Autores ist, und anfange, Wörter zu verbessern, halten mich vermutlich alle für eine Verrückte.

Eine Verrückte, die Bücher von anderen Autoren korrigiert.

Aber wie lautet ein berühmtes Zitat, das ich auch ganz oben aufgeschrieben habe? Wenn du schreibst, ist das Boot mit den normalen Menschen sowieso längst ohne dich abgefahren.

Folglich bin ich eh nicht normal, und kann munter weiter fremde Bücher korrigieren, im Unterricht unter dem Tisch schreiben wähend andere heimlich das Handy benutzen und tränenüberströmt im Bus sitzen, weil meine Lieblingsperson in der Geschichte das Land verlassen muss.

Und ich hatte doch so viele tolle Erinnerungen mit ihr…

Ihr merkt es. Ich bin nicht normal.

Und doch, mit einigen Vorurteilen würde ich gerne hier und jetzt aufräumen. Erstens: Schreiber sind keine Streber. Wir schreiben nicht für die Schule, oder für unsere Eltern, ich zumindest schreibe, weil ich es von ganzem Herzen will und muss.

Zweitens: nur weil wir schreiben, sind wir noch lange nicht gut in Deutsch. Im Gegenteil. Deutsch-Arbeiten sind mein Feind und wenn man Interpretationen umbringen könnte, wäre das in einer meiner Geschichten längst passiert. In Deutsch muss man meistens sachlich schreiben und nüchtern und so weiter, man muss sich an die Fakten halten. Und das hasse ich wie die Pest.

Drittens: Leute die lesen oder schreiben, leben zurück gezogen. Hahahaha Witz. Ich und zurückgezogen…passt eher nicht so. Nein im Ernst, ich habe viele gute Freunde, mit denen ich gerne etwas unternehme, am liebsten jeden Tag. Und so sehr ich das Schreiben mag, ich würde nie von irgendeiner Aktivität wegbleiben, um die Zeit stattdessen mit Schreiben zu verbringen. Denn dann wäre ich nicht mehr ein Teil vom Leben, und was kann man schreiben, wenn man nicht mehr zum Leben dazu gehört?

Tija, das ist also meistens mein Alltag, vielleicht hier auch ein bisschen überspitzt dargestellt, aber so in der Art, und an dieser Stelle gehen auch mir- siehe da- die Worte aus.

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.