Der Ätna. Von dem Moment an, in dem wir vom Ziel unserer Geoexkursion erfahren hatten, war uns allen klar dass die Besteigung dieses Vulkans ein Highlight der ganzen Reise werden würde. Als wir uns um 7:30 Uhr zum Frühstück in der kleinen Küche versammelten, waren Vorfreude und Respekt vor den bevorstehenden Anstrengungen nahezu greifbar. Das von der Besitzerin der Pension zubereitete Frühstück schmeckte uns dennoch ausgezeichnet, und so brachen wir um 08:30 Uhr gestärkt auf. Die Fahrt mit den gebuchten Bussen nicht besonders lange und ich verbrachte sie hauptsächlich damit, mir zu überlegen, ob ich auch richtig angezogen war. In diesem Moment war es mir in der langen Hose nämlich noch viel zu warm und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es auf dem Ätna anders sein sollte. Durch die Scheiben konnten wir die Landschaft und die Vegetation Siziliens bestaunen, wobei uns vor allem der außergewöhnliche Kontrast von rosa Blüten auf dem dunklen, vulkanischen Untergrund auffiel.
Mit seinen 3352 Metern Höhe ist der Ätna der mächtigste Vulkan Europas. „Ätna“ stammt aus dem Indogermanischen und bedeutet „brennend“. Den Sizilianern ist der Vulkan auch unter „Mongibello“, zu Deutsch schlichtweg Berg, bekannt. In seiner heutigen Form besteht der Ätna bereits seit 3000 Jahren – eine für uns unvorstellbar lange Zeit und dennoch ein Bruchteil in der Geschichte der Erde. Plattentektonisch gesehen ist Süditalien und besonders Sizilien äußerst instabil: südlich der Insel im Mittelmeer herrscht eine Subduktion der afrikanischen Platte unter den europäischen Kontinent vor, was immer wieder zu plattentektonischen Verschiebungen und vulkanischer Aktivität führt.
Die Busfahrt endete am sogenannten „Refugio Sapienza“, einer Art Talstation. Hier, 1 900 Meter über dem Meeresspiegel wurde uns bereits eines klar: dies ist ein Teil von Italien, wie wir ihn – temperaturmäßig – noch nie erlebt haben. Von wegen in der langen Hose wäre es zu warm! Lange Hosen, T-Shirts und warme Jacken zählten zur Pflichtausrüstung, ebenso wie stabile, mindestens über den Knöchel reichende Wanderschuhe. Dies überprüfte auch Andrea Ercolani, unser Vulkanführer, der uns bereits erwartet hatte und mit Freude feststellte, dass alle den Anforderungen entsprechend ausgerüstet waren. So konnten wir die nächste Instanz nehmen, eine circa dreißigminütige Seilbahnfahrt. Hierbei zweifelten wir etwas an den Sicherheitsstandards der Seilbahnkabinen, da sich die Türen leider nicht schließen ließen und die Fahrt mehrmals durch fünfminütige, ziemlich wackelige Pausen unterbrochen wurden. Mit viel Fantasie malten wir uns aus, wie die Kabine inklusive uns mit einem lauten Knall auf dem Boden zerschmettern würde, und selbst wenn das physisch und physikalisch nicht möglich ist – wir waren alle froh, als wir letztendlich heil oben angekommen waren.
Durch die Seilbahnfahrt waren wir von 1900 Metern auf 2504 Meter gestiegen. Der geringere Sauerstoffgehalt in der Luft machte sich tatsächlich insofern bemerkbar, als dass einfache Bewegungen anstrengender erschienen und wir uns somit alle fragten: wie sollen wir diese Tageswanderung überstehen? Glücklicherweise baute unser Vulkanführer geschickt Pausen ein, in denen er uns Fakten über die Struktur, die Aktivität und die Entstehung des Ätnas mittels Aschesand, Stöcken und Zeichnungen auf eindrucksvolle Weise näherbrachte. So wurde es nie zu anstrengend.
Der Ätna ist ein Schichtvulkan, der in Lavaströmen vulcanisch, aber teils auch strombolianisch ausbricht. Zusätzlich kann es allerdings auch zu phreatischen Explosionen kommen. Dies bezeichnet das Zusammenwirken einer Wasserdampfexplosion mit magmatischer Aktivität. Wenn extrem heißes externes Wasser plötzlich hohem Druck ausgesetzt ist, sublimiert es zu Dampf, wobei dieser das 1000- bis 3000fache Volumen des Wassers annimmt. So kommt es zur Sprengung und es bildet sich ein Explosionskrater. Dieser Vorgang wird als phreatische Explosion bezeichnet. Bereits im Jahre 1669 zerstörte eine Reihe an Eruptionen weite Gebiete des Ätnas. Auch im 20. Jahrhundert ereigneten sich mehrere Explosionen. Dabei wurden zahlreiche Häuser zerstört, was bis heute besichtigt werden kann.
Die jüngsten kleineren Ausbrüche des Ätnas liegen nur wenige Monate zurück. Im Januar und März diesen Jahres war der Ätna äußerst aktiv, was wir auf unserer Tour zu spüren bekamen.
Manche Gesteinsteile waren noch immer so heiß, sodass wir mit unseren Wanderschuhen Acht geben mussten. In einzelnen Nischen reichte die Hitze aus, um ein hineingeworfenes Papier in Flammen zu setzten, wie uns Andrea Ercolani eindrucksvoll zeigte. Aufgrund der eisigen Temperaturen im Ätna-Gebiet waren wir um die kleine Aufwärmung dankbar und hätten uns gerne noch länger in den warmen „Föhn“ gestellt.
Den ganzen Tag über hatte ich den positiven Aspekt des Reisens genossen, die Tatsache, dass der Alltag und das normale Leben ganz weit weg sind, erst recht auf 2500 Metern über dem Meeresspiegel. Dass gerade diese Höhe mir zum Verhängnis werden sollte, hätte ich nicht gedacht. Aber meine Herzrhytmusstörungen, die plötzlich wieder einsetzten, haben mir in diesem Fall einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wegen mir musste deswegen die Route geändert werden, sodass wir nicht mehr weiter in die Höhe mussten. Dies wäre nach Einschätzung des Vulkanführers zu gefährlich gewesen. Mir ging es wirklich schlecht, aber das schlechte Gewissen der Gruppe gegenüber quälte mich tausend mal mehr. Ich kann nur von Glück sagen, dass ich so gute Freunde habe, die nicht im Geringsten vorwurfsvoll waren und bei mir blieben, bis sich mein Herz und meine Hormone gleichermaßen beruhigt haben.
Vom Ätnagebiet aus gelangten wir schließlich in das „Vale del Bove“, einer aus früheren Eruptionen entstandenen Caldera, die eine beeindruckende Aussicht auf Sizilien und das Meer bat. Die steilen Aschehänge waren zum Teil von Gräsern gesäumt, was erneut einen interessanten farblichen Kontrast bildete.
Viel spektakulärer war für uns jedoch die Tatsache, dass wir an den Aschehängen nicht nur entlang liefen. Stattdessen gab Andrea Ercolani den Startschuss fürs „Ascherutschen“, wobei manche schneller und andere weniger schnell unterwegs waren und alle definitiv ihren Spaß hatten. Wir veranstalteten außerdem eine „Jumpchallenge“.
Sowohl in Punkto Höhe als auch in Punkto Verletzung hätte Jan den ersten Preis abgeräumt, hätte es denn einen gegeben. So hatten wir bereits am ersten Tag einen Invaliden, der seinen Weg auf Elenas Wanderstock gestützt fortsetzen musste. Die Laune war dennoch bestens, besonders als wir endlich wieder die Hauptstraße und somit annähernd die Zivilisation erreichten. An der Talstation warteten bereits unsere Busse, die uns zurück zu unserer Unterkunft in Nicolosi brachten.
Keiner von uns glaubte, nach diesem äußerst anstrengenden Tag noch dazu in der Lage zu sein, sich fortzubewegen. Als jedoch das Stichwort „Pizzeria“ fiel, waren alle wieder auf den Beinen, auch Jan, der von mir als Krankenschwester und FSJ-ler Linus liebevoll umsorgt wurde. Das Abendessen in einer Pizzeria in Nicolosi hatten wir uns an diesem Tag definitiv verdient. Danach hatten wir noch Spaß mit einem Tischkicker, bis wir dann alle – endlich- wie tot im Bett landeten.