Die Feuerdecke

Kategorien Tagebuch

you can break everything down to chemicals, but you can´t explain a love like ours

-The Script

Du weißt, du sitzt im Chemieunterricht, wenn sogar das Rettungsinventar an der Wand interessanter ist als die Veresterung von Butterethylsäure. Das Waschbecken mit der Augendusche, von der sich niemand vorstellen kann, das sie jemals gebraucht wird, die Tafel mit diversen Reaktionsgleichungen und daneben der knallrote Kasten mit der Aufschrift „Feuerdecke“. Umgeben von chemiebegeisterten Freaks, zig Chemikalien und eindeutig zu viel Naturwissenschaft ist dieser rote Kasten das einzige in meinem Umfeld, das mir einigermaßen lebensnah erscheint. „Du spinnst!“ flüstert mir meine beste Freundin zu, die nächstes Jahr in den Chemieleistungskurs gehen wird und sich mit Buttersäureethylen definitiv besser auskennt als ich. „Eine Feuerdecke kann man nicht interpretieren. Interpretation ist eine Erfindung des Deutschunterrichtes.“

Ist das also so?

Ich beginne, über die Funktion der Feuerdecke nachzudenken. Sollte jemals das Wunder passieren, dass ein Experiment mit den sowieso total ungefährlichen Schul-Chemikalien dermaßen schief läuft, dass eine Stichflamme entsteht, müsste man die Feuerdecke über den Brand werfen. Wie vielleicht schon bemerkbar wurde, bin ich kein Chemiefreak, sicher nicht, aber eins habe sogar ich verstanden: die Decke entzieht dem Feuer den Sauerstoff – sorry, das O2- und ohne Sauerstoff kein Feuer.

Innerhalb von Sekunden ist die anbahnende Katastrophe gebannt, ausgeschaltet, zur Seite geräumt, und ganz automatisch denke ich: wenn es in unserem Leben doch nur auch so wäre.

In unserem Leben gibt es so viele Brände, kleine und große. Brände, die auf der Haut brennen, und Brände die uns von innen zu Asche machen. Ich würde mal sagen bei mir ist die Schule so etwas wie ein Dauerbrand, mal mit Spar- und mal mit Stichflamme. Und wenn ich dann mal ganz kurz auf das Wort verweise, das mit K beginnt und mit urswahl endet, ist mir auch schon klar, wie hoch die Flammen gerade stehen – viel zu hoch. Die Schule ist aber vermutlich ein selbstverschuldeter Brand. Brandstifter bin ich höchstpersönlich, die 6-jährige mit der Einhorn-Schultüte die unbedingt zur Schule wollte. Ähm ja- selber schuld. Hätte ich doch bloß ein bisschen mehr nachgedacht 😉 Leider gibt des da aber auch immer noch die Brände, die ganz spontan entstehen und viel zu schnell, um reagieren zu können. Wie eine weggeschnippte Zigarette im Tunnel, aus Unvorsicht, 40 Tote und ein Großbrand. Und es gibt auch Brände, von denen können wir uns die Entstehung so überhaupt nicht erklären, die sind einfach da und wir müssen mit den Konsequenzen leben. Wir sind in unserem Leben also wahrhaftig Feuer und Flamme, mit zahlreichen verschiedenen Bränden, aber eines haben sie alle gemeinsam:

sie lassen sich nicht löschen, in denen man ihnen den Sauerstoff entzieht.

Es wäre so verdammt perfekt: einfach eine Löschdecke drüber werfen und fertig. Sie hängen doch an jeder zweiten Wand, sind überall griffbereit, und bei Feuern können sie so viel bewirken. Aber wie ist es möglich, unseren Problemen im Leben den Sauerstoff zu entziehen? Übertragen würde das vermutlich bedeuten, ihnen keine Beachtung mehr zu schenken. Probleme zu ignorieren ist auch keine Lösung, oder in manchen Fällen zumindest keine besonders gute. Ich meine klar könnte ich die Schule nicht mehr für wichtig halten und stoisch eine 5 nach der anderen hinnehmen, aber gelöst wird das Problem dabei nicht, denn mein Abi hätte ich schon ganz gerne. Schenke ich der Schule also Beachtung und schaffe mein Abi, wird das Schul- Feuer erlöschen ( Oh Gott klingt das verrückt, könnt ihr mir noch folgen? 😀 ) und ich kann zufrieden sein.

Ein echtes Problem zeichnet sich nicht unbedingt dadurch aus, dass es einfach zu lösen ist. Und oft gibt es gar kein richtig oder falsch. Um noch mal auf das allseits beliebte und kaum zu Tode geredete Thema Kurswahl zurück zu kommen – kann es eine richtige Entscheidung geben? Entweder ich wechsele die Schule, bekomme meine Wunschkurse und verlasse dabei meine Freunde und mein ganzes soziales Leben an dieser Schule, oder ich bleibe hier, wo ich mich am wohlsten fühle, quäle mich aber zwei Jahre mit Fächern die ich eigentlich gar nicht mag. Es ist die Wahl zwischen der Entschlossenheit, meinen Träumen zu folgen und dem Wunsch, so viele schöne Erinnerungen zu sammeln wie möglich. Kein richtig und kein falsch, und erst recht keine Löschdecke, die man einfach drüber werfen kann. Das würde nämlich bedeuten, dass ich nach den Sommerferien einfach gar nicht mehr zur Schule gehe. Wobei, eigentlich auch keine schlechte Option oder? 😀

Wisst ihr was? Mir fehlt diese Löschdecke. Diese traumhafte Vorstellung, innerhalb von Sekunden alles besser zu machen mit einem einzigen Handgriff. Die Gewissheit, dass egal wie schlimm der Brand wird, die Rettung so nahe liegt. Vor was müsste man sich fürchten? Über was sich den Kopf zerbrechen?
Wer wünscht sich das bitte nicht?

Und so erinnert mich der knallrote Kasten Tag für Tag daran, was ich in meinem Leben nicht habe. Ein Notausgang. Eine „Das-klappt-immer“-Lösung. Rot ist eine ganz schön provozierende Farbe, wenn man etwas nicht anschauen will. Dann noch lieber einen Blick auf die Tafel, wo mich die ganzen schönen Veresterungen schon erwarten.

Und – oh Wunder- selbst die längste Chemiestunde geht vorbei, und ich muss sagen ich habe heute wirklich etwas Wesentliches gelernt: chemische Brände sind nicht vergleichbar mit denen, denen wir uns Tag für Tag so mutig stellen. Damit ist mir mal wieder klar geworden, wie wenig Chemie mit dem täglichen Leben zu tun hat, und ich kann es kaum erwarten, zurück in mein wundervolles, einleuchtendes und faszinierendes Deutsch zu kehren.

Unglaublich – und auch nur ein ganz kleines bisschen psycho, was man aus einer Löschdecke so rausholen kann. Ob das jetzt als echte Interpretation durchgeht? Meine beste Freundin glaubt das erst, wenn dieser Blogpost in Facebook mindestens 10 Likes hat. Keine Ahnung um was wir eigentlich gewettet haben – aber gewinnen wäre schon ganz cool, also wenn euch meine Verrücktheit und die Abneigung gegenüber Naturwissenschaften zumindest erheitert hat, dann liket doch den Facebook-Post 😀

Danke für das Lesen dieses absolut sinnfreien, unlogischen Textes, in Berlin finde ich vielleicht mal wieder Stoff für was Interessantes:-D

Bis dahin machts gut und genießt den Sommer – wenn er denn endlich mal kommen würde 😉

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.