In meinem ersten Blogpost http://tabitha-anna.de/schwanzlurche-auf-arabisch-refugeeswelcome habe ich euch schon mal vom Asylcafé und meinem ersten Besuch dort erzählt. Einer der Freiwilligen hat damals zu uns gesagt: „Ihr werdet sehen, die Besuche hier machen süchtig!“ und – siehe da- er hatte so recht!
Nach drei superspannenden ersten Schultagen beschlossen meine Cousine und ich spontan, nach dem Nachmittagsunterricht noch einen Abstecher ins Asylcafé zu machen. Zufällig befanden wir uns dabei gerade in einer Vertretungsstunde, und noch zufälliger hat der Vertretungslehrer gerade mit uns über die Flüchtlingskrise geredet. Dabei ging es auch um das Asylcafé und als unsere Mitschüler hörten, dass meine Cousine und ich da schon mal waren, waren sie plötzlich sehr interessiert. Weil wir von unserem ersten Besuch wirklich nur Positives erzählen konnten und dabei wohl auch ziemlich enthusiastisch gewirkt haben, haben wir tatsächlich zwei Mitschüler überredet, nach der Schule direkt mitzukommen. Das ist irgendwie wirklich krass schnell gegangen und ich war total überrascht, denn ganz ehrlich: ich an ihrer Stelle hätte mir das vielleicht wirklich zwei Mal überlegt (oder drei Mal. Oder vier Mal).
Ich war vor meinem ersten Besuch so aufgeregt und so voller Bedenken, ich glaube ohne unsere Lehrerin und den angekündigten Spieleabend wäre ich gar nicht mitgegangen. Nicht etwa aus Angst vor den Flüchtlingen selber (wobei…), sondern einfach, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie das alles aufeinander trifft.
Wir – Flüchtlinge.
Deutsch-Arabisch.
Sicher – Geflüchtet.
Zukunft- Ungewiss.
Glück-Leid.
Hoffnung- Angst.
Aber ihr alle, die meinen ersten Post gelesen habt, und ich selber weiß, dass es nicht so gekommen ist, im Gegenteil. Und gestern Abend hat sich das alles nahtlos angeknüpft. Vielleicht sind dort, wo wir die meisten Barrieren und Hindernisse vermuten, manchmal die wenigsten.
Sie sind Flüchtlinge? Sie sind trotzdem Menschen wie wir, sie atmen, sie reden, sie lachen, sie wollen Unterhaltung und Lebensinhalt. Im Asylcafé verliert keiner seine Würde. Jeder wird ernstgenommen.
Wir können kein Arabisch, sie kein Deutsch? Aber was ist mit Englisch, mit Händen, Füßen und dem dicken Wörterbuch, das dort auf dem Tisch liegt? Und kein Schüler kann mir erzählen, dass er nicht irgendwann schon mit Google Übersetzer in Berührung gekommen ist- damit meine ich natürlich NICHT die Französischaufgaben 😉
Dass zwei Kulturen aufeinander treffen, wurde bedingt klar, weil wir gestern Abend eigentlich nur Tischkicker und Mensch ärger dich nicht gespielt haben. Keine Ahnung ob die Flüchtlinge das von ihrer Heimat kennen oder von der Zeit, die sie hier schon verbracht haben, ist eigentlich auch egal, sie haben uns jedenfalls abgezockt ohne Ende 😀
Aber es gab doch eine Situation am gestrigen Abend, die mich verdammt zum Nachdenken, oder eher zum Traurigsein gebracht hat. Ein etwa 40-jähriger Mann, der schon ziemlich gut Deutsch spricht und mit uns Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt hat, wurde von einer Betreuerin gefragt, wie es seiner Frau und seiner Tochter geht.
Bekanntermaßen sind in Gammertingen nur männliche Flüchtlinge ohne Familie, also war ja eigentlich gleich klar, dass diese Frau und Tochter nicht gerade fünf Straßen weiter in der Flüchtlingsunterkunft sind. Aber es war so krass, als er sein Handy rausgeholt und uns Bilder gezeigt hat, Bilder von seiner Tochter, die vielleicht fünf Jahre alt ist und in die Kamera strahlt.
Whatsappbilder. Und Whatsappnachrichten. Das ist alles, was dieser Mann seit seiner Flucht von seiner Familie hat. Er sieht seine fünfjährige Tochter anhand von Whatsappbildern aufwachsen. Hört die Stimme seiner Frau am Telefon, hunderte von Kilometern weg von ihm. Irgendwie hat mich die Situation auch an früher erinnert, als auch in Deutschland Soldaten von ihren Familien, ihren Partnern, ihren Kindern getrennt wurden, um zu kämpfen. Ich denke, ein Mensch kann vieles durchstehen, wenn er den wichtigsten Faktor hat, nämlich jemanden, der ihm dabei zur Seite steht, und der für einen da ist.
Wir kennen das doch von uns, wenn wir Probleme haben. Wie viel leichter ist Liebeskummer, wenn man ihn mit der besten Freundin teilt? Wie viel weniger schlimm eine Krankheit, wenn man Tag für Tag besucht wird? Was macht schon eine Klassenarbeit aus, wenn der beste Freund sie genauso verhauen hat? Menschen an unserer Seite geben uns die Sicherheit, die wir brauchen, um auch die bescheuertste Situation durchzustehen.
Ohne diese Menschen, ohne diese Sicherheit, verlieren wir den Überblick, wissen nicht mehr, wo wir hingehören, wozu wir stark sind und das alles durchmachen. Umso wichtiger muss es für die Flüchtlinge sein, Kontakt zu ihrer Familie zu halten, für sie durchzuhalten, in der Hoffnung, dass sie eines Tages nachkommen können. Und umso wichtiger sind auch Einrichtungen wie das Asylcafé. Menschen, die auf der Flucht alles verloren haben, gewinnen hier einen Teil ihres Rückhaltes zurück. Lernen neue Menschen kennen, spüren, dass sie wichtig sind. Und eben nicht unerwünscht.
Natürlich läuft hier auch nichts alles rund. Vorgestern sind in Gammertingen neue Flüchtlinge angekommen. Es ist enger geworden in der Unterkunft. In der ersten Nacht konnte niemand schlafen, hat uns der Vater des kleinen Mädchens erzählt. Es ist strapazierend. Und schwer, durchzuhalten. Das Asylcafé ist so wichtig, weil man hier aufatmen kann.
Gestern Abend ist mir also noch einmal klar geworden, wie wichtig die Hilfe der Bevölkerung in der Flüchtlingskrise wirklich ist, und dass die Flüchtlinge das auch wertschätzen. Wir waren drei sechzehnjährige Schüler, aber keiner hat Fragen gestellt oder uns kritisch angekuckt, es war einfach nur cool, dass wir da waren.
Okeeeei, es bringt natürlich nichts wenn jetzt täglich 100 Leute ins Asylcafé strömen um mit den Flüchtlingen Tischkicker zu spielen, ich wollte damit nur sagen, dass auch so ein kleiner Schritt etwas Gutes bedeuten kann. Für mich fällt der Besuch im Asylcafé unter Freizeit, nicht unter Pflicht. Ich mache das gerne. Und das erfüllt mich irgendwie total 🙂
Ich kann euch nur raten, informiert euch, traut euch, fragt andere, ihr habt nichts – rein gar nichts- zu verlieren 🙂