Arrividerci Stromboli, Ciao Lipari | Vier Wochen auf einem Vulkan

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Zeit, habe ich gelernt, kann so unberechenbar sein. Zehn Tage hören sich beim ersten Mal nach einer langen Zeit an. Fast zwei Wochen. Ein ganzer normaler Sommerurlaub. Beinahe die Hälfte eines Monats. Als ich an Tag zwei meines Abenteuers auf dem Tragflügelboot von Neapel nach Stromboli saß und den unaufhörlichen Wellen (und Delfinen!) bei ihren Sprüngen zusah, habe ich mir gewünscht, dass die ersten zehn Tage schnell vergehen. Damit der Monat alleine nicht mehr so eine Wucht vor meinem inneren Auge ist. Ein Monat klingt viel größer als: zwanzig Tage.

Hätte ich gewusst, wie schnell die zehn Tage vergehen werden hätte ich meinen Wunsch sofort zurückgekommen. Die Tage auf Stromboli flogen nur so an mir vorbei. Zwischen den Abenden, an denen ich an der Spüle in der in warmes Licht getaucht winzigen Küche stand und meine Augen beim Einräumen der bunten Keramikteller schon beinahe zuflogen lagen scheinbar Sekunden. In diesen Sekunden erntete ich Macadamia-Nüsse, Kaktusfeigen oder Maracuja, jätete Unkraut oder spielte mit Atti der Hündin fangen. Immer um die Mittagszeit machte ich mich zum Strand auf, wo ich mich Angesicht zu Angesicht zu dem rauchenden Vulkan über mir ins kühle Wasser gleiten ließ. Die Äolischen Inseln liegen 1814 Kilometer südlich von meinem Zuhause in Deutschland, deswegen geht die Sonne hier früher unter. Sobald es dunkel war, setzte ich mich in den weitläufigen Garten, meistens begleitet von irgendeiner Katze, und sah ewig in den Sternenhimmel. Ich sah viele Sternschnuppen und obwohl man ja eigentlich nicht verraten darf, was man sich wünscht, hätte ich es in diesem Augenblick am liebsten hinaus in die stille Welt geschrien: ich wünsche mir, dass das Leben so schön bleibt, wie es ist.

 

 

Wenn man in einen Alltag gleitet, fällt einem gar nicht auf wie schnell die Zeit vergeht. Es ist schön in der Fremde etwas Vertrautes zu finden, aber gleichzeitig war es für mich das sichere Zeichen, dass ich weiter muss. Etwas neues sehen, neue Menschen kennenlernen. Am 11. September war es soweit: ich nahm Abschied vom Casa Barbara, das einmal ein ehrwürdiges habsburgerisches Herrenhaus war und seitdem nichts von seiner Magie verloren hat, von Barbara, ihrer Familie, dem Garten und den Tieren. Und von Stromboli, der hinter den Fensterscheiben der Fähre immer kleiner wurde und unberührt vor sich hin eruptierte, wie er es immer getan hat, wie er es immer tun wird.

In Lipari anzukommen war ein kleiner Kulturschock. Nach zehn Tagen auf einer Insel ohne Autos kommt einem der Landingsplatz von Lipari vor wie eine Großstadt. Aber zum Glück wie eine, in der ich mich bereits auskenne.

 

Der wohl schönste Moment des Tages ereignete sich, als ich in Canneto aus dem Bus stieg, und mir von meiner neuen Unterkunft aus bereits zugewunken wurde. Ich hätte es nie gedacht, aber ich wohne jetzt tatsächlich dort, wo wir vor einem Jahr mit der Geographie-Exkursion auch untergebracht waren, in der Baia Unici Hostel Anlage. Die Besitzer Francesca und ihr Bruder haben mich so herzlich empfangen als wäre ich ein altbekanntes Familienmitglied und ich fühlte mich auf Anhieb wohl.

Es war definitiv eine Umstellung vom Leben in einer Großfamilie zum Leben alleine in einer kleinen Hostelparzelle. Aber ich liebe es!

Ich kann kochen und essen was und wann ich will, zum Strand gehen wann ich will, schlafen und aufstehen wann ich will. Wenn man Canneto wohnt, vergeht kein Tag ohne ein Sprung ins Meer, aber trotzdem nimmt das Entspannen am Strand höchstens eine Stunde des Tages ein. Die restliche Zeit befasse ich mich endlich mehr mit den Recherchen zu meinem Thema, treffe Leute, arbeite an meinem Italienisch und reflektierte in meinem Reisetagebuch.

Ich fühle mich nicht einsam, weil ich eigentlich weiß, dass ich es nicht bin. Wenn ich irgendein Problem hätte, könnte ich einfach in die Rezeption des Hostels gehen. Oder schlichtweg auf die Straße,, denn in ein Gespräch mit Vorbei laufenden verwickelt zu werden ist hier völlig normal.

Heute ist Tag 14 und ich kann kaum glauben dass die Hälfte des Monats schon beinahe vorbei ist. Ich hoffe sehr, dass ich nach dem 22. noch eine letzte Unterkunft finde, die mich knapp zwei Wochen aufnimmt, denn ich würde liebend gerne hier 19 werden.

Ich bin hier so glücklich, ohne jeden ersichtlichen Grund die ganze Zeit am Strahlen und auf eine seltsame Art und Weise geerdet und ruhig. Manche Leute sagen, das hängt mit der Präsenz der Vulkane zusammen. Angeblich wirkt sie sich positiv auf die mentale und physische Gesundheit aus. Ich kann es bisher in jedem Fall bestätigen!

In Deutschland hat die Schule wieder angefangen. Zu wissen dass im GymGam wieder der ganz normale Wahnsinn läuft, ohne dass wir noch Teil davon sind, fühlt sich sehr seltsam an. Besonders den ersten Schultag habe ich immer geliebt (ok und wenn wir ehrlich sind:alle weiteren auch) und ich vermisse es noch immer schmerzlich.

Trotzdem lebe ich hier meinen Traum, und das nur, weil ich mich getraut habe, mutig zu sein. „Danke!“ an mein Vergangenheit-Ich, und „Steh jetzt endlich auf und mach dir was zu essen!“ an mein Gegenwart-Ich. In diesem Sinne – bis bald☀️

Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.