Das hier ist ein Liebesbrief

Kategorien Gedanken

Das hier ist ein Liebesbrief an dich.

Das hier ist ein Liebesbrief an die Zeit mit dir, in der Zeit nicht vergeht sondern mehr wird. Manchmal beinahe unendlich. Dann nimmst du meine Hand und wir rennen los, und irgendwo zwischen Mittelalter und Neuzeit versprechen wir uns, es bis ins Jahr 3000 zu schaffen. Und dann wieder zurück.

Das hier ist ein Liebesbrief an all die Orte, die wir gesehen haben. An den Zug den wir nie bezahlt, und das Meer, das wir nie überquert haben. Mit dir zusammen zu sein erinnert mich daran, auf der Welt zu sein. Danke, dass du mir gezeigt hast, wie weich und weit sie ist. Auch an jenen Tagen, an denen sie mich fast zerdrückt mit ihren Scherben und Wolkentürmen.

Das hier ist ein Liebesbrief an deine Stille. An deine Weise, den Ton aus den Straßenbahnen und Bahnhöfen und Wartezimmern zu saugen, bis nur noch deine Stille übrig ist. Sie stemmt sich gegen das Chaos, das mich sonst überrannt hätte.

Das hier ist ein Liebesbrief an deine Töne. Wenn du sprichst, singen in dir die Lieder einer ganzen Welt. Sanfte, schrille, laute, tiefe Stimmen. Schreie und Tränen. Berühmte letzte Worte. Worte die ich hören musste. Sätze, die in mir leben, und ich für sie. Manchmal bist du ein Spiegel, manchmal die weniger spirituelle Alternative zum Gedankenlesen.

Das hier ist ein Liebesbrief an deine Bilder. Die, die so präzise sind und so bunt, dass man in sie hineinklettern und darin leben kann. Wie Ölstriche, die ineinander verfließen, wenn man nicht hinsieht. Wie Wimmelbilder, in denen man jedes Mal etwas neues findet. Manchmal bist du die gestochen scharfe Gegenwart einer Kamera mit 4k; manchmal der schweigsame Fotograf einer Kleinstadt, der nach nächtelangem Basteln einen längst kaputt geglaubten Analogfilm auf die Leinwand zaubert. Manchmal bist du abstrakt durcheinander fliegende Zylinder, manchmal der Realismus in der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts.

Das ist ein Liebesbrief an deinen Trotz. Jeden Tag stellst du dich einer Welt entgegen, die alles will, was du nicht bist. Schwarze und weiße Entscheidungen. Gute und böse Menschen. Sieger und Gewinner. Schwimmen an der Oberfläche kurzer Gespräche. Einfache Lösungen. Die Entdeckung dieser einen Wahrheit. Manchmal erwischst du mich dabei, wie ich ihr folgen will, und dann verfluche ich dich kurz für dich und deine desillusionierende, subjektive, relative und komplexe Nicht-Wahrheit. Und dann? Gebe ich die Suche nach der Alternative wieder auf – und gebe mich dir hin.

Das ist ein Liebesbrief an dein Immer. Dein Versprechen, immer da zu sein. Deine Kraft, immer und alles zu überstehen. Deine nie endende Faszination, deine reiche Geschichte, dein offenes Ende.

Das ist ein Liebesbrief an deine auf weiß gedruckte, schwarze Tinte mit Serifen, in einer Welt, in der die Lichter blenden und die Zeit rast und sich die Wolken türmen und die Wartezimmer kreischen und die Menschen schweigen und die Fotos verblassen und fast nichts für immer ist.

Du bist für immer.

Danke, Lesen.


Anlässlich zum heutigen Welttag des Buches hier ein paar der Bücher, die für mich Zeitreise, Flugzeug, Stille, Lieder, Bilder und ein zeitloses Immer sind. Viel Spaß beim Lesen!


Mein Name ist Tabitha Anna und ich bin 24 Jahre alt. Ich komme aus dem Süden von Baden-Württemberg und liebe es, zu lesen, zu schreiben und zu reisen. Seit Oktober 2019 studiere ich deutsche und italienische Sprach- und Literaturwissenschaft in Freiburg im Breisgau.