
Leben in Frankreich, in einer Familie und mitten im französischen Alltag- das war für mich immer ein Traum. Schüleraustausch kam leider nie in Frage, das Studium mit etwaigen Auslandssemestern liegt noch in weiter Ferne. Dennoch hat sich mein Traum erfüllt, und das nur, weil meine französische Freundin Marine und ich es geschafft haben, fast ein ganzes Jahr Kontakt zu halten. Sei es Zufall oder Schicksal, haben wir uns in Taizé beim Spülen zahlreicher roter Schüsseln kennengelernt, und uns seitdem über Snapchat und Facebook gegenseitig auf dem Laufenden gehalten. Mit Videos hat sie ihr Englisch, und ich mein Französisch verbessert – oder zumindest haben wir das gehofft. Und immer wieder dieser Satz: es wäre so toll, wenn wir uns wiedersehen. Und stets ihr Angebot: Komm mich besuchen, ich zeige dir die Normandie und das Meer am Ärmelkanal und meine Familie. Und das habe ich dann gemacht. Sieben Tage meiner Sommerferien war ich in der Normandie, genauer gesagt in einem kleinen Dorf in der Nähe von Dieppe. Schon nach zwei Tagen habe ich mich gefühlt, als hätte ich schon mehrere Jahre dort gewohnt. So wohl, so zuhause, dass ich am liebsten gar nicht mehr gegangen wäre. Und als es dann soweit war, und ich plötzlich wieder im kalten, grauen Deutschland stand, wurde mir erst klar, was ich dort alles hatte, und was ich jetzt so sehr vermisse. Und heute, an meinem ersten Schultag nach sechs Wochen Abenteuer, sehe ich darauf noch einmal zurück- auf die zehn Dinge in der Normandie, die ich vermisse.
1. Das Gefühl, auf Reisen zu sein
Ich wünschte mir ja selber, es würde anders sein. Kaum ein Hobby ist so teuer, wie das Reisen, und langsam muss ich wirklich die Notbremse ziehen. Wer aber wie ich das mehr oder weniger nützliche Talent hat, finanzielle Sorgen problemlos ausblenden zu können, kann das Reisen in vollen Zügen genießen. Tschüss Verantwortung, tschüss reales Leben, hallo Unbeschwertheit und Ferne, wo nichts zählt und dir nichts zu sehr weh tun kann. Distanz heilt mindestens so viele Wunden wie die Zeit. „Weit weg bist du oft verdammt nah an dir selbst“, hat mal jemand gesagt. Vielleicht, weil fern von dem Alltag und den Nöten zuhause nichts für Ablenkung sorgt, auf der Suche nach sich selbst. Vielleicht, weil die Herausforderungen, die sich auf Reisen ergeben, uns vor Augen führen, wie gerüstet wir für das Leben wirklich sind, an was wir scheitern und mit was wir überraschend gut umgehen können.
Herausforderungen gab es für mich auch dieses Mal wieder nur genug. Es hätte mich auch gewundert, wenn alles funktioniert hätte. Beispielsweise wurde ich pünktlicher Weise am Abreisetag krank. Mit Fieber und Ohrenschmerzen macht eine Zug-Straßenbahn-Fernbus-Tour keinen Spaß. Vor lauter ließ ich an Bahnsteig Nummer 1 dann noch mein Handy fallen, weshalb jetzt ein wunderschönes Spinnennetz mein Display ziert. Daraufhin saß ich zwar erst einmal heulend im Zug und dachte Schlimmer kann es nicht kommen und kürte It´s always darkest before the dawn zu meinem neuen Mantra, aber irgendwie habe ich funktioniert, und es bis nach Rouen geschafft.
Eine viele schlimmere Herausforderung ergab sich, als ich bereits auf der Rückfahrt war. Ich hatte einen Aufenthalt von eineinhalb Stunden in Paris Bagnolet. Da sich dieser internationale Busbahnhof meilenweit von Eiffelturm und Co befindet, begnügte ich mich damit, in den MC Donalds zu gehen. Ich war mit meinem ganzen Gepäcku auf Toilette im ersten Stock und begab mich anschließend wieder ins Erdgeschoss, wo ich mir an einem der Tablets mein Abendessen bestellte (um circa 21:1 Uhr). Meine Nummer wurde schon fast aufgerufen, da durchzuckte es mich plötzlich unvermittelt: meine Kamera war weg! Ich hatte sie die ganze Zeit in der Kameratasche gehabt- die immer um meinen Hals hing! Für einige Sekunden hatte ich das Gefühl, tot umzufallen, was dann glücklicherweise aber nicht der Fall war. Ich ließ mein Essen Essen sein. Ich steuerte einen Security-Mitarbeiter an der Treppe an, und fragte ihn , ob er kurz mein ganzes restliches Gepäck bewachen könne. Zwei mal, weil ich erstens so atemlos und viel zu schnell geredet hatte, und ich zweitens in diesem Moment alles redete, außer perfektes Französisch. Prinzipiell ist das in Frankreich aber die einzige Sprache, mit der man weiterkommt, Englisch ist hier einem Großteil leider einfach fremd. Wie irre sprintete ich dann nach oben ins Klo, verstörte zwei Toilettenbesucherinnen mit meiner Verzweiflung, nur um festzustellen, dass die Kamera nirgends mehr war. C´est la vie. Ich befragte dann noch einige Menschen, die in Toilettennähe saßen und aßen. Erfolglos. Ich dachte, mein Leben wäre vorbei. Ich habe meine Kamera noch nicht einmal ein Jahr und sie ist trotzdem so wichtig für mich, trägt so viele Erinnerungen die noch nicht auf dem Laptop gespeichert sind, auch von Frankreich- es war ja die Rückfahrt- und hatte auch ihren Preis. Das alles – einfach verloren? Ich kam die Treppe herunter, und blickte in das strahlende Gesicht des Security-Mitarbeiters. „Hast du deine Kamera verloren?“ „Oui!“ sagte ich. Er grinste noch breiter. „Die haben wir gefunden.“ Und fünf Sekunden später überreichte mir tatsächlich ein anderer MC Donalds-Mitarbeiter meine Kamera, die er völlig unversehrt in der Toilettenkabine gefunden hatte, nur etwa fünf Minuten nachdem ich die Toilette verlassen hatte. Das ist die Definition von Glück, und von unbeschreiblicher Erleichterung und Dankbarkeit. Das ist sicher nicht selbstverständlich!
Wieso tue ich mir das immer wieder an? Keine Reise, bei der es nicht mindestens eine Katastrophe gibt. Ich vermisse es trotzdem: das Gefühl, unterwegs zu sein.
2. Neue Bekanntschaften
Und dann war da Henri. Henri war der Typ Mensch, auf den in den Menschenmassen einer Hauptstadt mein Blick gefallen wäre. Er war irgendwie anders, vielleicht weniger in seinem Aussehen, als in seiner Art, sich zu verhalten. Er war so- interessant. Und er war mein Sitznachbar im Fernbus von Ulm nach Paris. Ich mochte Fernbusse schon immer, und das ist der Grund dafür. Man kommt mit Menschen ins Gespräch, an denen man in den Menschenmassen einer Hauptstadt einfach vorbei gelaufen wäre. Henri ist 22 Jahre alt und studiert seit 4 Jahren in Frankreich. Ursprünglich kommt er aus Albanien. Das ist seine Geschichte, und ich habe ihm meine erzählt, und zwischen Albanien und Deutschland und Frankreich gibt es so viele Unterschiede, und irgendwann um Mitternacht drehte sich das englische Mädchen vor uns um und fragte uns freundlich, ob wir unsere tiefgründigen Gespräche etwas leiser führen könnten.
In dem trostlosen, verregneten und grauen Paris Bagnolet wäre ich ohne Henri verloren gewesen. Zusammen feierten wir den Parisischen Boden, verbrachten eine Stunde in einer gläsernen Bushaltestelle um dem ewigen Regen zu entkommen und frühstückten anschließen im MC Donalds. Wir versicherten uns dann noch gegenseitig, dass wir beide am richtigen Quai auf den richtigen Anschlussbus warten. Dann trennten sich unsere Wege, er fuhr in den Süden und ich in den Norden.
Ich werde Henri nie wieder sehen. Ich werde weiter Facebook-Nachrichten von ihm bekommen, mit Bildern vom Süden Frankreichs, und irgendwann hört es auf, und er wird immer die beste Fernbus-Bekanntschaft bleiben, die ich je hatte.
Angekommen bei Marine habe ich natürlich eine Menge Leute kennengelernt: ihre ganzen Freunde, Nachbarn und Cousinen. Und ihre Familie, die mich so freundlich aufgenommen hat. Es ist sehr widersprüchlich, Unternehmungen mit Leuten zu machen, die man nie wiedersieht, Freunde auf Zeit sozusagen. Aber es macht auch so Spaß, sein Leben zuhause mal kurz für ein französisches Leben auszutauschen!
3. Ein Hauch von Paris
Handelswirtschaftlich und infrastrukturell profitiert die Normandie von ihrer Nähe zur Hauptstadt. Von Paris bis nach Rouen, einer der größten Städte der Normandie, fährt man etwa zwei Stunden. Wie bereits erwähnt, war Paris Bagnolet vermutlich nicht die schönste Ecke von Paris. ABER es war Paris.
Auf der Reise von Albanien nach Frankreich war Henri in Stuttgart. Er mochte es, sagte er. Es sei schön und ordentlich und sauber. Und ich sagte. „Ja, aber es ist nur eine Stadt.“ Und er wusste, was ich meinte, und er sagte etwas Wichtiges: „Ich mag es nicht, wenn etwas perfekt ist.“ „Ja.“ sagte ich. „Zu perfekt um die Schönheit im Unperfekten zu finden.“ Er sagte: „Ich denke wir brauchen ein bisschen Unperfektheit oder Chaos, damit wir uns lebendig und frei fühlen können.“
Dann saßen wir in Paris Bagnolet in dieser Bushaltestelle, und trotz des Regens ging rosarot die Sonne auf und beleuchtete die Welt um uns herum: schmutzige Straßen, Bürobauten mit abbröckelnder Fassade und direkt vor uns eine gigantische Ruine, die einst ein Haus war. „Das,“ sagte Henri. „Ist alles andere als perfekt.“ Es war nicht der Eiffelturm. Nicht Champs Elysées und nicht das Notre Dame. Aber es war immer noch Paris, und es war unperfekt und wunderschön.
Später saß ich im Bus nach Rouen und klebte fast am Fenster. Alles, was ich sah, machte mich so glücklich. Die Pariser Philharmonie zum Beispiel, die aussieht wie ein zusammengeknülltes Stück Alufolie – wunderschön unperfekt also. Und dann, als ich gar nicht mehr damit gerechnet hätte, sah ich sie: die Spitze des Eiffelturms. Und während der Rest der Businsassen in ihr Handy starrten oder in ihr Buch oder ins Leere, saß ich da und konnte mein Glück kaum fassen. Jetzt war ich wirklich in Paris.
Ich war in Paris, als meine Mutter mit mir schwanger war, danach nie wieder. Aber daher kommt wohl die bisher unerklärliche Begeisterung für alles, was mit Frankreich und französisch zu tun hat, und bald, sehr bald, komme ich noch einmal zurück nach Paris, und dann richtig. Wenn es nach mir ginge, dann am Tag nach dem Abiball.
4. Spontane Unternehmungen am laufenden Band
Ich war kaum in dem kleinen Dorf in der Nähe von Dieppe angekommen, da ging es auch schon los mit der Spontanität. Ich dachte bisher, das wären die Amerikaner, aber jetzt weiß ich: Franzosen, oder zumindest die die ich kenne, sind mindestens genauso spontan. Mein Ausflug Nummer 1 führte in eine Boulangerie, dann wurden wir direkt zu den Nachbarn zum Mittagessen eingeladen, wo wir dann den ganzen Mittag geblieben sind.
Auch sonst gestaltete sich die ganze Woche eigentlich spontan. Am Montag spontan nach Dieppe, am Dienstag spontan mit dem Rad ins Nachbarort inklusive Übernachtung, am Mittwoch spontan Übernachtung in Dieppe bei Freunden, am Donnerstag spontan einen ganztägigen Roadtrip von der Normandie über die Picardie in die Region Pas-de-Calais – immer am Meer entlang. Alles so spontan- darauf muss man sich erst einmal einlassen, aber schon bald ist man süchtig- nach der Gewissheit, dass es nie langweilig werden wird!
5. DAS MEER
Die Normandie liegt im Nordwesten Frankreichs am Ärmelkanal, oder auf französisch: La Manche. Das Dorf, in dem ich gelebt habe, war nicht direkt an der Küste, aber gesehen habe ich sie trotzdem oft genug.
Gleich am Sonntagabend habe ich mit der ganzen Familie einen Ausflug nach Veules-les-Roses gemacht, dem wohl schönsten Dorf das man sich vorstellen kann.
Benannt wurde das Dorf nach diesem Bach, der Veules, mit 2 Kilometern Länge der kürzeste Fluss Frankreichs.
An dieser Stelle fließt die Veules ins Meer.
In diesem kleinen Dörfchen haben wir auch noch zu Abend gegessen und sind durch die nächtlichen Gassen geschlendert. Die Woche über haben mich Marines Eltern immer mal wieder gefragt, was bisher mein Lieblingsort in der Normandie ist, und bis zu meinem allerletzten Moment in Frankreich habe ich ihnen immer die gleiche Antwort gegeben: „Veules-les-Roses!“
Eine der bekanntesten Hafenstädte der Normandie ist Dieppe. Hier haben Marine und ich am Montag zunächst das Chateau de Dieppe besichtigt, von dem aus man eine atemberaubende Aussicht auf Dieppe und das Meer hat. Anschließend genossen wir die Sonne und die leichte Brise am Meer, tranken Granita und trafen Marie, die ich auch noch aus Taizé kenne. Besonders charakteristisch für Dieppe sind die großen Felsen, die den Strand der Stadt sozusagen umrahmen.
Eine weitere Stadt an der Küste ist Pourville. Dorthin sind Marine, Méline (die ich auch aus Taizé kenne) und ich am Dienstag mit dem Rad gefahren. Wir waren im Meer, am Strand und im Haus von Marines Verwandtschaft. Zusammen mit mehreren Freunden von Marine sind wir dann abends wieder los an den Strand gezogen. Dort haben wir ein Feuer gemacht, einer hatte seine Gitarre dabei und es gab Erdnussflips. Mehr haben wir gar nicht gebraucht.
Ab Mittwoch hat die Normandie ihr wahres Gesicht gezeigt. NORMANDIE reimt sich offensichtlich nicht aus Zufall auf LA PLUIE. Eigentlich wollten wir am Mittwoch mit Marines Freunden am Strand campen. Der Campingurlaub wurde dann auf eine Garage verschoben, aber am Donnerstag hielt uns nichts davon ab, einen Roadtrip am Strand entlang zu veranstalten. Unser erstes Ziel war St.Croix-sur-Mer. Hier hatte ich zum ersten Mal die Chance, marée basse zu erleben, also die Ebbe. Zuvor hatte ich den Ärmelkanal immer während seiner marée haute Phase gesehen. Bei Ebbe ist das Meer wie eine große, feuchte Wüste.
Nach fünf Minuten in St. Croix holte uns der Regen ein, sodass wir uns weiter Richtung Norden aufmachten und schließlich Berck-sur-Mer in der Region Pas-de-Calais erreichten. Während die Strände der Normandie vor allem während der Flut ausschließlich aus Kies bestehen, erstreckt sich in Berck ein ewiglanger weißer Sandstrand, der von einer großen, einzigen Sanddüne unterbrochen wird.
Die Windverhältnisse waren ausgezeichnet, um Drachen steigen zu lassen – oder sowas ähnliches.
Der Tag endete bei der Familie von Marines bester Freundin. Auch sie war sehr gastfreundlich und überhäufte uns mit Crepes, bis wir wirklich nicht mehr konnten.
Im Vergleich mit zum Beispiel Sizilien und den liparischen Inseln sind die französischen Strände ganz anders. Dann war ich noch in Spanien und da war wieder alles anders. Deswegen habe ich diesen Sommer vor allem eines gelernt: Strand ist nicht gleich Strand, aber jeder ist auf seine Art wunderschön!
6. WauWau auf Französisch
Marines Familie hat einen Hund – und zu der Zeit in der ich da war, sogar noch einen Gasthund. Eigentlich bin ich ganz und gar kein Hundefan, aber in diese beiden niedlichen Hunde war ich total verliebt! Wir sind jeden Tag mit ihnen Gassi durch das ganze Dorf gegangen und wenn ich morgens aus meinem eigenen kleinen Zimmer nach unten gekommen bin, haben sie mich immer schon erwartet.


Dann gab es noch den Kater Caramel, der auch mal Zeit mit mir in meinem Zimmer verbracht habe, und dessen weiches Fell ich ebenfalls sehr vermisse.
7. La cuisine francaise – trop bonne!!!!
Bevor ich nach Frankreich gegangen bin, wusste ich nicht besonders viel über das französische Essen – außer vielleicht dass es lange dauert und angeblich immer Froschschenkel, Käse und Baguette beinhaltet. Der Aufenthalt in Taizé war aufgrund der Umstände auch nicht wirklich ein Maßstab.
Jetzt kann ich sagen: alles, was ich in Frankreich gegessen habe, hat einfach nur traumhaft geschmeckt!
Das Frühstück unterscheidet sich bei Marine kaum von meinem, jedoch wird die Milch bzw. der Kaba nicht aus einer Tasse getrunken, sondern aus einer Schüssel! Beim Mittagessen war eigentlich auch alles ganz normal, aber als „Nachtisch“ Nummer 1 gibt es tatsächlich immer Käse mit Baguette. In diesem Punkt hat sich das Klischee vollkommen erfüllt. Es war aber unglaublich lecker! Während bei uns abends im Normalfall nur kalt „gevespert“ wird, gab es in Frankreich auch abends immer noch mal etwas Warmes – wieder sehr lecker!
Ich habe, wie es sich gehört, alles Französische probiert: Baguette, Crepes, Fromage und das Original-Apfelmus aus der Normandie. Als ich Marines Familie eines Abends von dem in Deutschland bestehenden Klischee der Froschschenkel-essenden Franzosen erzählt habe, mussten alle herzlich lachen. Es gäbe zwar Froschschenkel, vor allem in Südfrankreich, sagte mir Marines Mutter, sie selbst sei davon aber überhaupt kein Fan- und da stimmte ihr der Rest der Familie auch sofort zu.
8. Mein französisches Leben
Es war vielleicht nur eine Woche in Frankreich, aber es hat sich trotzdem nicht wie Urlaub angefühlt, nicht mal wie ein Besuch. Es war, als hätte ich innerhalb kurzer Zeit ein zweites Leben dort aufgebaut, mit meinen französischen Freunden die ich aus Taizé kannte oder durch Marine neu kennengelernt habe, und einer unglaublich liebevollen Familie, der sich sehr viel zu verdanken habe. Vielleicht auch dadurch, dass ich mein eigenes kleines Zimmer hatte, fühlte ich mich sehr zuhause und wohl. Manchmal habe ich mir aus Spaß vorgestellt wie es wäre, einfach dort zu bleiben und in Dieppe zur Schule zu gehen – ignorieren wir das Abitur doch einfach. So bin ich immer trauriger geworden, dass ich nie die Chance/ Initiative für ein Auslandsjahr ergriffen habe. Wenn ihr das lest, und noch die Chance habt, dann tut es! Man bereut immer nur das, was man nicht getan hat!
Besonders in Erinnerung wird mir mein letzter Tag bleiben. Wir verbrachten einige Stunden in Rouen, wo wir die bekannte Kathedrale sowie die „Rue-du-gros-horloge“ mit ihrer wunderschönen Uhr besichtigten und shoppen waren. Wir waren zu viert: Marines Mutter, Marine, Méline und ich. An diesem Tag war alles schon so vertraut und sie zu verlassen erschein mir nahezu undenkbar!
9. Parler le francais TOUJOURS
Dass ich Französisch mag und es gerne spreche, muss ich keinem erzählen. Und in Deutschland spricht man deutsch, und ich sollte wirklich aufhören, andere auf die Palme zu bringen, nur weil ich so gerne französisch rede.
Umso schöner war es, für eine Woche nicht nur französisch sprechen zu dürfen, sondern sogar zu MÜSSEN. Wie bereits erwähnt, in Frankreich ist es wirklich schwierig, mit englisch durchzukommen, diese Erfahrung habe ich mehrmals gemacht.
Leider habe ich in dieser Woche vor allem eines gelernt: dass ich ungefähr nichts kann. Wenn sich Marine mit Freunden und Familie unterhalten hat, verstand ich höchstens Bruchteile. Häufig konnte ich mich auch selbst nicht so ausdrücken, wie ich es gerne gehabt hätte. Ich glaube nicht, dass ich in meinem ersten Schuljahr ohne Französischunterricht viele Vokabeln und Grammatikregeln vergessen habe, aber die Übung in Aussprache und Formulierung hat mir auf jeden Fall gefehlt. Manchmal war das ziemlich frustrierend.
Ich dachte mir: mach das Beste daraus! und habe angefangen, alle französischen Wörter, die ich neu gelernt habe, aufzuschreiben. Marine stand mir tatkräftig zur Seite und brachte mir außerdem zahlreiche wichtigen Redewendungen bei, die im Französischen häufig benutzt werden.
Von allen Seiten bekam ich zu hören, wie gut mein Französisch sei, was meiner Entmutigung manchmal entgegengewirkt hat. Natürlich konnte ich nicht erwarten, perfekt französisch sprechen zu können, und eine Woche alleine kann das auch nicht ändern. Aber ich habe unglaublich viel gelernt und hoffe, dass ich das bis zu meiner DELF-Prüfung im Januar beibehalten kann.
Was mich sehr glücklich gemacht hat: bereits ab dem zweiten Tag dachte ich ausschließlich in französisch, und das hat auch noch angehalten, als ich schon wieder zuhause war. Meine ersten Worte auf Deutsch am Bahnhof fühlten sich unglaublich komisch an und es kam in den ersten paar Tagen zuhause noch sehr häufig vor, dass ich auf irgendeine Anmerkung völlig automatisch mit „D´accord“ geantwortet habe.
10. MARINE
Marine, ich vermisse dich so sehr! Du wirst das hier zwar nicht lesen, aber du weißt auch so, wie dankbar ich dir bin!
Lange hätten wir beide nicht geglaubt, dass dieses Abenteuer wirklich Realität wird. Wenn ich diese Fernbus-Verbindung nicht gefunden hätte, wäre das vielleicht auch so gewesen. Ich bin so froh, dass das geklappt hat! Mitten in der Planung hat Marine zu mir gesagt: „On sera comme des soeurs!“, also wir werden wie Schwestern sein, und das waren wir auch! Wir verstanden uns vom ersten bis zum letzten Tag so gut, hatten viele gleichen Ansichten und kleine Insider, die nur wir verstanden haben. Keine Sprachbarriere konnte uns davon abhalten, uns anzufreunden und uns zu unterhalten, auch wenn manchmal nur noch Hände, Füße und der Übersetzer von LEO helfen konnte.
Bei unserem Abschied in Rouen standen wir beide heulend am Busbahnhof, bis mich der Fahrer drängte, endlich einzusteigen. Seit diesem Moment fehlt sie mir sehr, und ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen werden!
Das war meine Reise. Zehn Dinge, die mir tagtäglich fehlen. Das ist der Preis, den zu bezahlst, um einen Teil der Welt zu deiner eigenen zu machen. Das ist das Risiko, wenn du wegfährst, dass du nicht mehr heimwillst.
Ich würde ihn immer wieder zahlen.